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Ein Plädoyer

Digitaler Wandel in Zahntechnik und Zahnmedizin

Traditionelles Handwerk auf der einen Seite, moderne CAD/CAM-Technologie auf der anderen Seite? Für ZTM Michael Anger geht beides Hand in Hand. Mit seinem folgenden Beitrag möchte er den ein oder anderen Kollegen wachrütteln und deutlich machen, dass niemand seine ureigene Zahntechnikerseele verleugnet, wenn er seinen Arbeitsplatz teilweise an den Computer verlagert und einzelne Arbeitsschritte automatisiert von Maschinen erledigen lässt. 

© Anger Anger
© Anger
© Anger

Kaum ein Thema polarisiert derzeit unter Kollegen aller Disziplinen so sehr wie die zunehmende Digitalisierung unserer Berufe. Ich denke hierbei an Zahntechniker, aber ebenso an Zahnärzte und zahnmedizinische Fachangestellte. Allerdings ist die Formulierung „Digitalisierung unserer Berufe“ genau genommen falsch gewählt. Denn schließlich werden nicht die Berufe an sich digitalisiert, sondern den in diesen Berufen Tätigen wurden neue Werkzeuge an die Hand gegeben, die digitale Technologien nutzen. Und was soll mit neuen bzw. verbesserten Werkzeugen prinzipiell erreicht werden? Richtig – sie sollen die Arbeit erleichtern, sicherer und präziser machen und so die Effizienz und/oder die Effektivität verbessern.

Von keiner Baustelle ist heutzutage ein Bagger oder Kran wegzudenken. Die Arbeitsstellen derer, die in früheren Zeiten die Schaufel „bedienten“ oder die Dachziegel ins Dachgeschoss schleppten, gibt es nicht mehr. Stattdessen sind jetzt Bagger- und Kranführer gefragt ebenso wie Techniker für die Wartung und Instandhaltung. Mit der Entwicklung und Weiterentwicklung von motorisierten – mittlerweile auch teils computergesteuerten – Baumaschinen und -geräten hat sich ein ganzer Industriezweig mit vielfältigen Tätigkeitsfeldern gebildet. Ab und zu muss immer noch jemand eine Schaufel zur Hand nehmen oder etwas eigenhändig von A nach B befördern, aber der Umfang solcher Aufgaben ist im Vergleich zu früher minimal. Ähnlich ist es der Gusstechnik ergangen; sie hat schon lange nicht mehr den hohen Stellenwert von einst und vereinzelt ist in den zahntechnischen Betrieben nicht mal mehr ein Gussgerät vorhanden. Seit etwa 20 Jahren werden immer mehr Gerüste maschinell aus Zirkoniumdioxid angefertigt. Mit der Nutzbarmachung des Lasermelting-Verfahrens und der Frästechnik für Dentallegierungen ist auch die zahntechnische Herstellung von NEM-Gerüsten diesem Trend gefolgt. Selbst das bisschen Gold, das in der Zahntechnik heute noch zum Einsatz kommt, wird mehr und mehr computergestützt verarbeitet. Und es gibt sogar Labore, die keinen Gipsraum besitzen, weil ihre zahnärztlichen Kunden überhaupt nicht mehr konventionell, sondern ausschließlich digital abformen. Wenn wir von Digitalisierung reden, geht es also längst nicht mehr um die Zukunft, sondern um etwas, das moderne zahntechnische Betriebe bereits mit großem Erfolg umsetzen.

Nicht meckern, sondern machen!

Während die einen diesen Wandel beklagen und dem „guten alten Handwerk“ nachjammern, versuchen die anderen ihn zu begleiten, Schritt zu halten oder sogar vorne mit dabei zu sein. Auch bei den Mitarbeitern von Laborchefs dieser verschiedenen Lager findet sich das entsprechende Mindset wieder. Durchaus zu Recht heißt es umgangssprachlich „Der Fisch stinkt am Kopf zuerst“: Wenn der Arbeitgeber nicht bereit ist, weiter zu denken und in neue Technologien zu investieren, stellen diese letztlich tatsächlich eine Gefahr für den Arbeitsplatz der Mitarbeiter dar – weil immer mehr zahnärztliche Kunden an Labore abwandern werden, die mit der Zeit gehen. In solchen Laboren werden daher auch permanent Zahntechniker gesucht und die Mitarbeiter profitieren von der Erleichterung ihrer täglichen Arbeit, reproduzierbaren Ergebnissen, steigenden Gehältern aufgrund besserer Wertschöpfung und sicheren Arbeitsplätzen dank fast automatisch wachsender Kunden-/ Auftragszahlen.

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Wer erreichen möchte, dass seine eigenen Mitarbeiter umdenken, muss das selbst vorleben und mit gutem Beispiel vorangehen. Natürlich ist jeder von uns stolz, wenn er einmal eine Technik von der Pike auf erlernt hat und nun sicher beherrscht. Aber das bedeutet eben nicht, nun mit dem Lernen aufhören zu können. Vielmehr sollten wir alle den Anspruch verfolgen, Erlerntes stets noch weiterzuentwickeln und eben auch bei der Anwendung neuer Techniken einzubringen.

Beispiel Modellguss

Vor einigen Jahren erachtete ich es für notwendig, in eine Software für digitale Modellgusskonstruktionen zu investieren. In der Verarbeitung von PEEK hatten wir schnell feststellen müssen, dass der Weg der händischen Modellation und des nachfolgenden Pressens für unsere Ansprüche viel zu fehlerbehaftet und anfällig für Misserfolge ist (Abb. 1). Die Presstechnik bringt hier ähnliche Risiken wie die konventionelle Gusstechnik mit sich, von Fehlpressungen über Lunkerbildung bis hin zu Verzügen, und setzt einige händische Vor- und Nacharbeit voraus, um zu einem guten Ergebnis zu gelangen. Zudem können Werkstoffeigenschaften wie E-Modul und Homogenität während des Pressvorgangs beeinträchtigt werden. Unsaubere Oberflächen, Einbettmasse-Einschlüsse, Passungsungenauigkeiten etc. entfallen bei Nutzung der Frästechnik. Es wurde also entschieden, PEEK-Aufträge in den Fräsbereich einzugliedern, um die Prozesssicherheit und unsere Produktqualität zu erhöhen (Abb. 2). Der erste Versuch gestaltete sich Software-bedingt schwierig. Doch dann führte exocad das Add-on-Modul Removable Partial Design ein. Wir nutzten zunächst die kostenlose Demo-Version und dann die marktreife Vollversion, sind also Anwender der ersten Stunde. Und die Techniker in unserem Betrieb waren begeistert, wie sehr ihre tägliche Arbeit vereinfacht wurde.

Abb. 1: Das Verarbeiten von PEEK mittels Presstechnik bringt viele Nachteile mit sich. Anger
Abb. 1: Das Verarbeiten von PEEK mittels Presstechnik bringt viele Nachteile mit sich.
Abb. 2: Mittels CAD/CAM-Technik lassen sich PEEK-Versorgungen von zuverlässig hoher Qualität fertigen. Anger
Abb. 2: Mittels CAD/CAM-Technik lassen sich PEEK-Versorgungen von zuverlässig hoher Qualität fertigen.
Abb. 3: Virtuell konstruierte und dann gedruckte Modellgussstruktur. Anger
Abb. 3: Virtuell konstruierte und dann gedruckte Modellgussstruktur.
Abb. 4: Das Druckerzeugnis wird ohne Einbettmassemodell angestiftet und ausgegossen. Anger
Abb. 4: Das Druckerzeugnis wird ohne Einbettmassemodell angestiftet und ausgegossen.

Durch diesen Erfolg und das fortschreitende Angebot von Druckern im Dentalmarkt war es nur eine logische Folge, den Weg der digitalen Modellation auch für den klassischen Modellgussbereich zu testen (Abb. 3 u. 4). Zunächst gab es Anlaufschwierigkeiten und Skepsis unter den Mitarbeitern; es bedurfte einiger Mühen, Verfahren und Materialien aufeinander abzustimmen, um einen funktionierenden Workflow auszuarbeiten. Auf die größte Gegenwehr hatte ich mich seitens des damaligen Stahltechnikers – mittlerweile im verdienten Ruhestand – eingestellt. Umso mehr überraschte es mich, wie begeistert er von den Ergebnissen war. Er wollte zwar weder am Computer konstruieren, noch den Drucker bedienen, aber: Die gedruckten Ergebnisse auf dem Modell zu verfeinern, ohne Einbettmassemodell anzustiften und zu gießen, um danach Gussergebnisse mit minimalem Nachbearbeitungsbedarf zu erhalten, fand er klasse. Er wurde nun in seiner Arbeit von anderen, meist jüngeren Kollegen unterstützt, die computeraffin sind und gleichzeitig fast spielerisch Wissenswertes über die hohe Kunst der Modellgusstechnik erlernten. Ein Teil der früheren Arbeitsschritte erübrigte sich, z. B. die analoge Vermessung der Modelle und das Ausblocken – die Software erledigt das auf Knopfdruck selbstständig – ebenso wie das Dublieren und die Herstellung eines Einbettmassemodells.

Mittlerweile ist es Jahre her, dass wir einen Modellguss in der klassischen Produktionskette gefertigt haben – außer den Übungsstücken, die unsere Auszubildenden für Schule bzw. Prüfung herstellen müssen. In diesem Fall wird tatsächlich nicht fürs Leben, sondern für die Schule gelernt. Der üblicherweise anfallende Materialverbrauch wurde durch Nutzung der CAD/CAM-Technik auf geringe Mengen Resin reduziert. Zwischenzeitlich haben wir auch in einen neuen Drucker investiert. Das war zwar mit höheren Anschaffungskosten verbunden, hat aber dennoch die Gestehkosten deutlich gesenkt. Außerdem haben sich die Wartezeiten durch das hohe Arbeitstempo des modernen Geräts maßgeblich verkürzt.

Beispiel Teleskope

Abb. 5: Teleskope und Modellgussstruktur lassen sich in einem Schritt zusammen fräsen. Anger
Abb. 5: Teleskope und Modellgussstruktur lassen sich in einem Schritt zusammen fräsen.

Zunehmend konstruieren und fräsen wir Modellgussstrukturen für Teleskopversorgungen in einem Durchgang gemeinsam mit den Außenteleskopen (Abb. 5). Damit erübrigen sich einige Arbeitsschritte und es ist, wie ich finde, eines der besten Beispiele dafür, wie sich innerhalb eines Labors neue Verfahrenstechniken aufeinander aufbauend entwickeln, die althergebrachten Arbeitsmethoden verbessern und gleichzeitig die Wertschöpfung steigern. Abgesehen von vereinzelten Goldarbeiten wurde der Teleskopbereich komplett digitalisiert. Auch in diesem Fall waren die ersten Ergebnisse nicht gleich brauchbar, sondern eher abschreckend. Aber Rückschläge, Hartnäckigkeit sowie permanentes Lernen und Umdenken haben schließlich dazu geführt, diese Technik zum großen Teil digital unterstützt zu bewerkstelligen. Dafür wurden vorhandenes Wissen und neue Workflows miteinander kombiniert; aber dennoch entsteht eine gute Konstruktion niemals einfach auf Knopfdruck und es kann kein fertiges Werkstück aus einer Maschine kommen. Es ist der Kopf, der vor dem Bildschirm sitzt, und es sind seine Erfahrungen und Kenntnisse der Anatomie und der Anforderungen an das spezielle Werkstück, die bei der Arbeit am Computer zählen. Und es ist nach wie vor der gut ausgebildete Mensch, der das Werkstück letztlich mit wenigen, aber gekonnten Handgriffen verfeinert und zu dem macht, was die Augen glänzen lässt.

Beispiel Löffel & Co.

Noch ein weiteres, sehr aktuelles Beispiel für eine Digitalisierung in unserem Arbeitsalltag möchte ich anführen: Vor einigen Monaten kehrte ich von einem Lehrgang mit einer Neuerwerbung und einigen Ideen zurück. Es darf gesagt werden, dass ich damit unter den Mitarbeitern nicht nur Skepsis bezüglich der Umsetzbarkeit, sondern echte Zweifel an meinem Verstand ausgelöst habe. Es war ein Filamentdrucker, der sich durch sehr geringe Kosten für das Verbrauchsmaterial auf der einen Seite, aber auch durch ein recht langsames Arbeitstempo und eine vergleichsweise mindere Oberflächenqualität auszeichnet. Ich sah die passende Anwendung im Bereich gedruckter Abformlöffel und es hat zwar etwas gedauert, aber heute stellen wir mit diesem Gerät sämtliche individuellen Löffel, Bissschablonen und Aufstellplatten her und es ist aus unserem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken (Abb. 6 u. 7). Dazu bedurfte es einer zusätzlichen geeigneten Software für das Design und einer entsprechenden Fortbildung der Kollegen aus der Kunststoffabteilung. Spätestens nachdem die Auszubildenden vorgemacht hatten, dass es funktioniert, wollten auch die „altgedienten“ Techniker hier nicht zurückstehen und durch die regelmäßige Anwendung hat sich von Tag zu Tag mehr Routine eingestellt.

Abb. 6: Mit Filamentdrucker produzierte Bissschablonen. Anger
Abb. 6: Mit Filamentdrucker produzierte Bissschablonen.
Abb. 7: Entfernen der Stützstrukturen. Anger
Abb. 7: Entfernen der Stützstrukturen.

Die Installation eines weiteren Druckers dieser Bauart für einen weiteren Anwendungsbereich ist bereits in Planung. Bei dem Gerät entfällt das lästige Endhärten und Waschen mit Isopropanol und das gedruckte Ergebnis wird, ähnlich wie bei einer Banane, sozusagen von der Stützstruktur geschält. Tatsächlich ist der Umgang mit Isopropanol und den Resinen nicht nur während der Verarbeitung, sondern auch unter ökologischen Gesichtspunkten hinsichtlich der Entsorgung nicht ganz unproblematisch.

Letztlich muss akzeptiert werden, dass es für jede Anwendung optimales Werkzeug gibt. Natürlich lässt sich theoretisch auch mit einer Zange ein Nagel in die Wand schlagen; aber allein die Aspekte Handling und Werkzeug-Langlebigkeit werden einen sehr schnell einsehen lassen, dass es ein geeigneteres Werkzeug geben muss.

Faktor Intraoralcanner

Nicht nur betriebsinterne Erwägungen, auch die äußeren Umstände zwingen derzeit mehr und mehr Labore zum Umdenken. In vielen Zahnarztpraxen halten die Intraoralscanner Einzug und werden nicht nur von den Patienten, die gezielt solche Praxen aufsuchen, sehr geschätzt. Auch die Mitarbeiter in den Praxen, die für die Abformung, spätestens aber für die Reinigung der Löffel zuständig sind, schätzen die Intraoralscanner sehr. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass sie sich (noch) nicht für jede Präparation eignen. Ein Zahnarzt sagte einmal zu mir, er habe ja wohl nicht in diese Technik investiert, um weiterhin Fäden legen zu müssen, und hat nur widerwillig eingesehen, dass dieser Ansatz wohl nicht ganz richtig sein kann …

Nichtsdestotrotz kommt das Labor, das diesen Auftrag erhalten möchte und somit den Mundscan verarbeiten muss, nicht umhin, sich mit der kompletten digitalen Kette auseinanderzusetzen – vom Empfang der Daten, dem Design von Restaurationen auf Grundlage von Scans, dem CAD/CAM-technischen Überführen der virtuellen in analoge Modelle etc. Oder man verweigert sich dieser Entwicklung, verliert einen Kunden nach dem anderen und überlässt den Mitbewerbern den sich verändernden Markt ebenso wie die Mitarbeiter, die das sinkende Schiff verlassen und das rettende Ufer respektive Labor suchen werden.

Schlusswort

Ich darf jeden meiner geschätzten Kollegen aufrufen, sich nicht von all dem Neuen abschrecken zu lassen, sondern zu versuchen, Schritt mit den sich ändernden Rahmenbedingungen zu halten und Spaß daran zu finden. Zahntechnische Meister-Erfahrung und Hingabe für den Beruf werden weiterhin gebraucht, um neue Wege in die richtigen Bahnen zu lenken, deren Ergebnisse durch Handarbeit zu verfeinern und sinnvoll in die Produktionskette eines Labors zu integrieren. Unsere Mitarbeiter haben es verdient, dass wir als Arbeitgeber sie mitnehmen in die bereits heute stattfindende Zukunft.  

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