Betriebsübergang: Setzt sich der Labor- oder der Praxiskäufer ins gemachte Nest?

Kauft man die Gesellschaftsanteile eines Unternehmens, dann ist klar: Die Arbeitsverhältnisse zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeitern bestehen fort, denn es hat nur ein Gesellschafterwechsel stattgefunden. Wie ist das aber, wenn man den Betrieb ohne die gesellschaftsrechtliche Hülle oder nur Teile des Betriebs kauft? Gehen dann die Mitarbeiter auf den Erwerber über?
Der Fall: Der aufstrebende Zahntechniker T hat schon lange darauf gehofft, dass sein Chef R in Rente geht und ihm sein Dentallabor zum Kauf anbietet. Er erwirbt von ihm sämtliche Betriebsmittel, den Labornamen und die Kundendatei (*). Da der Mietvertrag ausläuft und T die Miete zu hoch ist, zieht er aber mit dem Labor in einen anderen Stadtteil. T übernimmt nur drei ausgewählte fleißige Mitarbeiter. Die zwei weiteren, älteren Mitarbeiter übernimmt T nicht. Er möchte lieber Auszubildende beschäftigen. Hier könnte ihm nun aber die Regelung des § 613a BGB einen Strich durch die Rechnung machen. Denn dort heißt es:
„Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.“
Auf diese Vorschrift pochend, könnten die beiden älteren Mitarbeiter beim Arbeitsgericht beantragen, dass die Arbeitsverhältnisse durch den Betriebsübergang auf T übergegangen sind. Das setzt voraus, dass ein Betriebsübergang vorliegt. Aber wann liegt ein Betriebsübergang vor? Die Rechtsprechung hat Kriterien erarbeitet, anhand derer das Vorliegen eines Betriebsübergangs geprüft wird.
Im Einzelfall kann die Entscheidung, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht, sehr schwierig sein. Häufig ist die Sachlage jedoch relativ eindeutig. In 95 Prozent der Fälle wird man - ohne Prüfung der Kriterien - mit der Anwendung der sogenannten „Nestformel“ zum richtigen Ergebnis gelangen. Nach dieser Formel liegt ein Betriebsübergang vor, wenn der Erwerber sich „ins gemachte Nest setzt“, der Betrieb nach dem Erwerb also wie zuvor weiterläuft.
Dies gilt auch für T, der sich dank der vorhandenen Geräte, des bekannten Labornamens und der Kundendatei ins gemachte Nest setzt; zu seiner Enttäuschung dann jedoch auch mit den beiden älteren Mitarbeitern. Hingegen läge kein Betriebsübergang vor, wenn T nur die Geräte und drei Mitarbeiter übernimmt, nicht aber den Labornamen und die Kundendatei.
Kauft die Dentallaborkette „D-Lab“ die Geräte und die Kundendatei von R und führt den Betrieb unter dem Namen D-Lab fort, spricht auch viel dafür, dass ein Betriebsübergang vorliegt. Entscheidend wird hier vor allem die Kundendatei sein. Erst recht liegt ein Betriebsübergang vor, wenn R in der D-Lab-Filiale noch als Geschäftsführer weiterbeschäftigt wird (*).
Anders sieht dies bei Zahnärzten aus. Dort stehen als Kriterien für die Annahme eines Betriebsübergangs der Standort und der Zahnarzt selbst an erster Stelle. Beteiligt sich ein alteingesessener Zahnarzt mit seiner Patientendatei an einer Gemeinschaftspraxis in einem anderen Stadtteil, liegt genauso ein Betriebsübergang vor, wie wenn ein junger Zahnarzt die Praxis eines in Rente gehenden Kollegen übernimmt. In beiden Fällen setzen sich die Zahnärzte ins gemachte Nest. Übernimmt dagegen der junge Zahnarzt nur die Geräte, die Patientendatei und einige wichtige Mitarbeiter und führt die Praxis in einem entfernten Stadtteil fort, setzt er sich wohl nicht mehr ins gemachte Nest.
Interessant ist auch die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt, wenn eine Gemeinschaftspraxis von vier Zahnärzten ihr praxiseigenes Labor mit drei Mitarbeitern aus Kostengründen aufgibt und sämtliche Aufträge an die örtliche D-Lab-Filiale „outsourced“. Verkauft die Gemeinschaftspraxis beispielsweise sämtliche Geräte an D-Lab und verpflichtet sich im Gegenzug, zukünftige Aufträge D-Lab zu erteilen, liegt ein Betriebsübergang vor. Die Mitarbeiter des praxiseigenen Labors müssten von D-Lab übernommen werden.
Kündigung der übergehenden Mitarbeiter
Das Labor von unserem T beschäftigt nur fünf Mitarbeiter, sodass der besondere Schutz des Kündigungsschutzgesetzes nicht eingreift. Warum kündigt T also nicht den zwangsweise übernommenen Mitarbeitern oder noch besser schon der in Rente gehende R? Die Kündigungen sind unwirksam, weil der § 613a Abs. 4 BGB den Mitarbeiter vor derartigen Kündigungen schützt:
„Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam.“
Zu beachten ist aber, dass nur Kündigungen wegen des Übergangs des Betriebs unwirksam sind. Es verbleibt also T die Möglichkeit, Mitarbeiter aus anderen Gründen, zum Beispiel betriebsbedingt, zu kündigen, wenn T beispielsweise meint, mit drei statt mit fünf Mitarbeitern auszukommen.
Unterrichtungsanschreiben
Im Falle des Betriebsübergangs ist noch zu beachten, dass der Erwerber und der Veräußerer nach § 613a Abs. 5 BGB verpflichtet sind, die vom Übergang betroffenen Mitarbeiter zu unterrichten. Der Mindestinhalt der Unterrichtung umfasst den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, den Grund für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Mitarbeiter und die hinsichtlich der Mitarbeiter in Aussicht genommenen Maßnahmen.
Anhand dieser Informationen sollen die Mitarbeiter entscheiden, ob sie von ihrem Widerspruchsrecht aus § 613a Abs. 6 BGB Gebrauch machen wollen. Die Ausübung des Widerspruchsrechts bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf den Erwerber übergeht, sondern beim Veräußerer verbleibt. Die Ausübung des Rechts ist natürlich sinnlos, wenn der Veräußerer, wie beispielsweise der in Rente gehende R, keinen Betrieb mehr führt. R kann dann den widersprechenden Mitarbeitern betriebsbedingt kündigen.
Betreibt der Veräußerer weiterhin ein Dentallabor oder eine Praxis, muss auf die Unterrichtung der Mitarbeiter besondere Sorgfalt gelegt werden, da eine unvollständige Unterrichtung die einmonatige Widerspruchsfrist nicht in Gang setzt und die Mitarbeiter noch deutlich später von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen können und auch Schadensersatzansprüche drohen.
(*) Namen und Fall frei erfunden.