Eierschalenprovisorium – antiquiert oder up to date?

Dem ein oder anderen sträuben sich noch heute die Nackenhaare bei dem Gedanken an die analoge Herstellung des Eierschalenprovisoriums. Einhergehend mit den Möglichkeiten moderner CAD/CAM-Technik hat sich hier jedoch einiges getan – wie im Folgenden dargestellt wird.
Um beste Ergebnisse bei ästhetischen und funktionellen Rehabilitationen zu erzielen, ist eine analytische Planung Pflicht. Ein Fotostatus und die Ermittlung der richtigen Bisslage schaffen dabei die Grundlage für ein gelungenes Wax-up, dessen Fertigung zu Beginn jeder größeren Rehabilitation steht. Sofern es analog hergestellt wird, ist dies mit großem Zeit- und Kostenaufwand verbunden; die Alternative der Übertragung des Wax-ups in den Mund mit der herkömmlichen Tiefziehschiene ist zu ungenau und kann kaum das wiedergeben, was vorher mühsam in einem Waxup erarbeitet wurde.
Herkömmliche Chairside-Provisorien wirken aufgrund einer suboptimalen Passung und des verwendeten monotonen Materials und der daraus folgenden mangelhaften Ästhetik oft abschreckend auf Patienten. Die Kombination dieser Faktoren kann dazu führen, dass ein Patient gänzlich von einer größeren Behandlung Abstand nimmt. Ein Eierschalenprovisorium schafft hier Abhilfe und sichert den Erfolg der endgültigen Restauration, wie der nachfolgend dargestellte Patientenfall belegt.
Die Ausgangssituation
Der folgende Fall stellt eine junge Patientin dar, die sich ein ästhetisch hochwertigeres Ergebnis bei ihrer Versorgung wünscht. Die bis dato vorliegende Ausführung empfand sie als nicht zufriedenstellend, was ihr Vertrauen in Zahnarzt und -techniker deutlich erschüttert hatte. Die Fertigung eines Eierschalenprovisoriums erschien daher als beste Lösung.
Um den Anforderungen an eine sorgfältige Planung und Umsetzung gerecht zu werden, wurde zunächst ein Fotostatus mit anschließender Analyse hinsichtlich der Position der Mittel-, Bipupillar- und Lachlinie erstellt. Des Weiteren wurden Farbe, bukkaler Korridor (Breite des Lächelns), Zahnachsen sowie Länge und Breite der Frontzähne, das interinzisale Dreieck und die Rot-Weiß-Ästhetik betrachtet.
Die Analyse
Die Analyse ergibt eine starke Verschiebung der Mittellinien in allen uns bekannten Punkten* (Abb. 1). Die dentale Mittellinie (schwarz) stimmt nicht mit der Gesichtsmitte (weiß) überein. Die Gesichtsmittellinie verläuft zwar über die Mitte der UK-Frontzähne; OK-Frontzähne und Lippen-Philtrum, welches mit dem Nasion die dentale Mittellinie bildet, weichen jedoch signifikant ab.
Beim Wax-up sollte daher eine Verschiebung der oberen mittleren Frontzähne nach links erfolgen, sofern dies die Pfeilerzähne zulassen. Was die Bipupillarlinie anbelangt, verläuft diese im Idealfall parallel zur frontalen Okklusionsebene (Verbindungslinie der Eckzahnspitzen). Hierbei ist der sagittale Verlauf der Gesichtshälften zu berücksichtigen.
Denn dieser kann z.B. bei einer nach innen eingesackten Gesichtshälfte die Wahrnehmung der Bipupillarlinie beeinflussen. Liegt eine der Gesichtshälften tiefer, zeigt sich dies optisch in einer schrägen Bipupillarlinie. Erfahrungsgemäß ist eine der Gesichtshälften dann schmaler und weist infolgedessen eine Verschachtelung der oberen 2er auf.
Beim vorliegenden Patientenfall ist eine Dominanz der rechten Gesichtshälfte zu beobachten. Die Lachlinie (Verbindungslinie der oberen Zähne) sollte parallel zur Unterlippe und in einem konvexen Bogen verlaufen. Ist dies nicht der Fall, spricht man von einer negativen Lachlinie.
In unserem Fall gilt es, beim Wax-up darauf zu achten, dass die Eckzähne etwas kürzer und die oberen ersten Schneidezähne etwas länger werden. Bei der Länge der oberen Frontzähne orientiert man sich am F-Laut: Dabei sollen die oberen Schneidezähne auf dem Übergang vom trockenen zum feuchten Lippenrot auftreffen. Die Farbe der Zähne ist in unserem Fall viel zu opak und man erkennt sofort die unechten Kronen.
Bei der Farbnahme sollte immer der Restzahnbestand als Grundlage dienen. Der Wunsch des Patienten wird dabei berücksichtigt. In unserem Fall haben wir uns an den UK-Zähnen orientiert.
Der bukkale Korridor ist der laterale Raum zwischen den bukkalen Flächen der Seitenzähne und den Mundwinkeln in lächelndem Zustand. Im vorliegendem Patientenfall ist der bukkale Korridor beidseits identisch, allerdings wird sich dieser nach dem Verschieben der Mittellinie der Front ungünstig verändern und eine Symmetrie durch den Restzahnbestand kaum möglich sein. Der goldene Schnitt beschreibt das Teilungsverhältnis zweier Größen zueinander: Länge zu Breite.
Hier sollte nicht nur der einzelne Zahn in Betracht gezogen werden, sondern alle Frontzähne, da sie im Vergleich zueinander stehen. So sollen bei Frontalansicht die oberen 1. Schneidezähne zu 100%, die 2. Schneidezähne und Eckzähne aufgrund des Blickwinkels jedoch nur zu 60% zu sehen sein. Bei der Rot-Weiß-Ästhetik spielt der Zahnfleischverlauf die entscheidende Rolle.
Im Idealfall liegt der marginale Gingivasaum an der Schmelz-Zement-Grenze und hat somit einen girlandenförmigen Verlauf. Ist dies nicht gegeben, hat es Einfluss auf den goldenen Schnitt und zieht ein gestörtes Länge-Breiten-Verhältnis des Einzelzahns nach sich. Chirurgisch wird aber kein Eingriff stattfinden.
Der marginale Verlauf der beiden Frontzähne ist unterschiedlich und steht im Fokus des Betrachters. Hier kann man ein wenig tricksen und den Zahn 21 kürzer gestalten, um eine optische Täuschung zu erzielen. Die beiden 2er sind Brückenglieder.
Man erkennt ein verfälschtes Austrittsprofil. Hier sollte die Pontic-Radierung nur palatinal erfolgen, da das Zahnfleisch dann nur die Flucht nach vestibulär hat und hier optisch mehr Volumen benötigt wird. Abschließend werden noch die interinzisalen Dreiecke geprüft.
Sie entstehen durch das Krümmungsmerkmal der Zähne. Dies verdeutlicht, dass hier die vestibuläre Zahnfläche mesial eine stärkere Krümmung als distal aufweist. Auf Basis der so gesammelten Daten wird das Wax-up analog erstellt (Abb. 2).
Der digitale Workflow
Nach der analogen Herstellung des Wax-ups folgt nun die digitale Anfertigung des Eierschalenprovisoriums (Abb. 3). Dabei wird exakt das zuvor erarbeitete Wax-up übernommen. Wir legen hierbei den Fall in der Software an und wählen das Modul des Eierschalenprovisoriums aus.
Die Software verlangt automatisch, das Wax-up zu scannen. Im nächsten Schritt wird bei jedem einzelnen Zahn eine „Präparationsgrenze“ marginal um das Wax-up angelegt. Einen Vorschlag dazu erstellt die Software automatisch.
Anschließend lässt sich dieser bei Bedarf auf einfache Weise individuell verändern. Danach werden die Verbinder generiert und ggf. angepasst. Hierbei ist es wichtig, Sollbruchstellen zu vermeiden und entsprechend die Verbinder zu verstärken.
Alternativ lässt sich das Wax-up auch rein digital herstellen. Hierfür werden die Zähne auf dem Gipsmodell bis zum marginalen Saum radiert und in der CAD/CAM als Pontics angelegt. Das radierte Modell wird hierbei eingescannt, die Zähne digital aufgestellt und basal angepasst, sodass sie nach dem Fräsen reponiert werden können.
Das Ganze lässt sich dann als Eierschalenprovisorium anlegen und kann entsprechend der Beschreibung für das analoge Wax-up als Vorlage dienen. Die Schichtstärke des Provisoriums ist bereits im System hinterlegt und liegt standardmäßig bei 0,3 mm. Selbstverständlich sind hier aber auch individuelle Anpassungen im Einzelfall möglich.
Das eingesetzte Eierschalenprovisorium
Nach der Präparation wird das eingesetzte Eierschalenprovisorium nochmals mittels einer erneuten Ästhetik-Analyse überprüft (Abb. 4). Somit lassen sich noch vor Erstellung der endgültigen Restauration mögliche Fehler identifizieren und beheben. Was hier ins Auge springt, ist die Länge von 21.
Diese soll in der finalen Restauration Beachtung finden, indem dieser Zahn etwas kürzer gestaltet wird. Die Dominanz der Eckzähne wird ebenfalls später durch die Keramik und deren transparente Farbwirkung optisch gemildert (Abb. 5 und 6). Eine zu perfekte Symmetrie wird jedoch nicht angestrebt, da diese „künstlich“ wirkt.
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Abb. 5: Die fertig verblendete Arbeit in Keramik am Modell und im Mund.
© Ivana Pasalic -
Abb. 6: Die fertig verblendete Arbeit in Keramik am Modell und im Mund.
© Ivana Pasalic
Letztendlich liegt die Ästhetik jedoch im Auge des Betrachters, wobei grundlegend entsprechend der Harmonie der Gesetzmäßigkeiten gewertet wird, wie etwa hinsichtlich der Symmetrie. Dabei stehen alle Linien in Bezug zueinander, wie die Analyse deutlich machte. Denn das Auge misst nicht, es vergleicht (Abb. 7).
Fazit
Die Vorteile einer digitalen Herstellung in Bezug auf das Eierschalenprovisorium liegen nicht allein in der Zeitersparnis. Die Planungsgrundlage für die endgültige Arbeit ist direkt mitgeschaffen. Außerdem besticht das Provisorium generell durch seine natürliche Ästhetik.
Es ist angenehm zu tragen und hochfunktional. Sollten Anpassungen nötig sein, sind diese aufgrund des digitalen Workflows einfach umzusetzen, sodass bei der finalen Versorgung am Ende alles optimal passen sollte. Aufgrund der vorteilhaften Optik und des Tragekomforts ist weder seitens des Patienten noch des Behandlers Eile bis zur Realisierung der finalen Lösung geboten.
So kann das Weichgewebe – etwa infolge extrahierter Zähne – in Ruhe abheilen und bei der Rot-Weiß-Ästhetik sind keine Kompromisse aufgrund vorschnellen Handelns durch verfrühten Einsatz der endgültigen Versorgung einzugehen. Generell besteht ein wesentlicher werkstoffkundlicher Vorteil des Eierschalenprovisoriums in der hohen Materialqualität, was gerade bei umfangreichen Restaurationen besonders vorteilhaft ist. Hinzu kommt eine deutlich geringere Spannung durch weniger Schrumpfung.
All das kommt letztendlich den Behandlern, deren Assistenz, den Patienten und Zahntechnikern selbst zugute und sichert den langfristigen Erfolg. Auch im vorliegenden Fall konnten wir mit dieser Lösung eine zufriedene Patientin verabschieden. Summa summarum heißt das für mich: Mit den Möglichkeiten der CAD/CAM-gestützten Fertigung sind Eierschalenprovisorien alles andere als antiquiert.