„Digiloge“ Sofortversorgung

Die Sofortversorgung von Implantaten mit Langzeitprovisorien ist ein spannendes und vielseitiges Feld der Zahntechnik, das im Ergebnis sehr befriedigen, aber dem Zahntechniker auch sehr viel abverlangen kann. Hier schildert Tobias Fischer, wie er mit Konzepten aus der „digilogen“ Welt jongliert. Je nach Gegebenheiten, die von zahnärztlicher Seite auf ihn zukommen, setzt er konventionelle oder digitale Mittel ein. Ohne Zeitverzug werden die Provisorien an demselben Tag erstellt, an dem die Unterlagen aus der Praxis eintreffen.
Sofortversorgungskonzepte werden in unserem Arbeitsalltag immer gefragter. Es geht hierbei schon lange nicht mehr nur um umfangreiche Versorgungen nach dem „All-on-X-Prinzip“ nach Prof. Dr. Paulo Maló. Auch temporäre Einzelkronen- und kleinere Brückenversorgungen auf Implantat( en) lassen sich durch Sofortversorgungen anfertigen, was uns zahntechnische Labore, aber selbstverständlich auch die behandelnden Ärzte immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Wir haben für uns festgestellt, dass wir zu den besten Ergebnissen kommen, wenn wir die Vorteile des digitalen Fortschritts mit dem analogen Handwerk kombinieren. Auf den folgenden Seiten werde ich Ihnen einige Fälle vorstellen, die wir mit verschiedenen Herangehensweisen erfolgreich gemeistert haben.
Auch das analog hergestellte Provisorium war am selben Tag fertig
Um die momentane Schnelllebigkeit der Branche zu verdeutlichen, stelle ich Ihnen zuerst einen Fall nach dem Straumann Pro Arch-Konzept vor, welchen wir im Jahre 2016 versorgt haben. Damals war unser Verfahren für solche Fälle noch nahezu komplett analog. Lediglich die Planung der Implantate erfolgte bereits über die 3D-Planungssoftware coDiagnostiX (Dental Wings). Die Bohrschablone wurde mithilfe des passend entwickelten GonyX-Koordinatentisches hergestellt. Diese Apparatur erlaubt es einem, die von der Planungssoftware generierten Daten der Implantatpositionen auf eine Bohrschablone zu übertragen. Anschließend wurden dem zahnlosen Patienten nach einer Passungskontrolle der Bohrschablone vier Straumann BLT-Implantate inseriert (Abb. 1–3). Im weiteren Operationsverlauf wurden nun noch die passenden Sekundärteile ausgewählt (Abb. 4), auf die Implantate aufgeschraubt und die gesamte Situation mit einem individuellen Löffel abgeformt.
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Abb. 1: Der zu versorgende zahnlose Patient.
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Abb. 2: Passungskontrolle der Bohrschablone.
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Abb. 3: Augmentation und Insertion von Straumann BLT-Implantaten.
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Abb. 4: Auswahl der Sekundärteile.
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Die Kieferrelation wurde nach Überprüfung mit der bereits vorhandenen Totalprothese übernommen (Abb. 5). Diese wurde kurzerhand von uns an den entsprechenden Stellen perforiert und weitestgehend hohlgelegt. Im Anschluss begannen wir mit der Modellherstellung und stellten innerhalb weniger Stunden manuell die okklusal verschraubte PMMA- Brücke samt gegossener Modellgussstruktur her (Abb. 6). Am Abend wurde das Provisorium dann schließlich eingesetzt und die Bisslage kontrolliert. Abschließend brauchten nur noch die Schraubenkanäle mit einem Komposit verschlossen zu werden. Hierbei sollte noch erwähnt werden, dass wir es für essenziell halten, dass die provisorischen Hülsen intraoral mit der Brücke verklebt werden und diese dann nochmals zur finalen Ausarbeitung vom Labor überarbeitet wird.
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Abb. 5: Die vorhandene Totalprothese wird im Labor an den entsprechenden Stellen perforiert und weitestgehend hohlgelegt.
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Abb. 6: Am Abend ist das Provisorium, bestehend aus einer PMMA-Brücke und gegossener Modellgussstruktur, fertig und wird eingegliedert.
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Abb. 7: Die Situation vorher.
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Abb. 8: Die Bohrschablone und die sechs Kronen auf ihren Titanbasen.
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Abb. 9: Die Versorgung in situ.
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Der digitale Sofort-Weg – nur die Situationsabformung war analog Der nächste Fall von 2019, den ich Ihnen vorstellen möchte, betraf eine Nichtanlage (Abb. 7) von insgesamt sechs Zähnen (13, 14, 23, 24, 36 und 46) und wurde bereits nahezu voll digital gelöst. Nach ausführlicher Beratung durch den behandelnden Zahnarzt Dr. Joachim Beck-Mußotter M.Sc., M.Sc., MEE, Weinheim, fiel die Entscheidung für ein Sofortversorgungskonzept. Das bedeutete: In derselben Sitzung mussten die vorhandenen sechs Milchzähne extrahiert und sechs Implantate navigiert gesetzt werden – die geschaffene Situation sollte sofort mit provisorischen Kronen versorgt werden (Abb. 8 u. 9).
Zunächst erfolgte mithilfe von konventionellen Vorabformungen und einer DVT-Aufnahme des Ober- und Unterkiefers eine dreidimensionale Planung der späteren Implantatpositionen (Abb. 10 u. 11). Die noch vorhandenen und später zu ersetzenden Milchzähne dienten bei der Planung als prothetische Orientierungshilfen. Anschließend wurden die Oberflächenscans der Situationsmodelle in die coDiagnostiX-Planungssoftware importiert und mit den DICOM-Datensätzen durch Überlagerung zusammengebracht („gematcht“). Dieses Planungsvorgehen unterstützt den Chirurgen dabei, zu einem vorhersagbaren Ergebnis der Implantation zu kommen. Ein zweites Paar Situationsmodelle mit bereits digital radierten Milchzähnen diente zur Herstellung der Bohrschablonen (Abb. 12). Diese „Full-guided“-Bohrschablone sollte dem Implantologen helfen, die Implantate in die im Vorfeld geplante Position zu inserieren, die möglichst der prothetischen Wunschposition entspricht.
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Abb. 10 u. 11: Dreidimensionale Planung der späteren Implantatpositionen.
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Abb. 12: Auf dem Weg zur Herstellung der Bohrschablonen.
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Nach Abschluss der Planung und der Herstellung der Bohrschablonen wurden aus der coDiagnostiX-Software Modelle mit den entsprechenden Scanbodies exportiert (Abb. 13). Diese Art der Sofortversorgung erlaubte uns als zahntechnischem Labor, ein prothetisch annähernd ideales Emergenzprofil zu schaffen (Abb. 14). Somit dienen die provisorischen Kronen nicht nur als Platzhalter, um eine Stellungsänderung der Nachbarzähne zu verhindern, sondern auch als die perfekten individuellen Gingivaformer für den späteren definitiven Zahnersatz. Bei der Konstruktion der provisorischen Kronen gilt es unbedingt zu beachten, dass diese aus jeglicher Funktion zu halten sind, da sonst das reibungslose Einheilen der Implantate gefährdet wird. Im Anschluss daran wurden die neu gewonnenen Unterlagen zur Konstruktion der provisorischen okklusal verschraubten PMMA-Kronen in den „Dental Designer“ der Firma 3Shape importiert (Abb. 15).
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Abb. 13: Export von Modellen mit den entsprechenden Scanbodies.
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Abb. 14: Schaffung eines prothetisch annähernd idealen Emergenzprofils.
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Abb. 15: Konstruktion der provisorischen okklusal verschraubten PMMA-Kronen in der 3Shape-Software.
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Diese provisorische Sofortversorgung war nicht erst am Abend der Patientensitzung fertig, sondern sie lag dem Operateur bereits vor dem bzw. zum Insertionstermin vor. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass die geplanten Implantatpositionen auch realisiert werden.
Mit gedruckter Bohrschablone und intraoperativ gesendetem Intraoralscan
Nun stelle ich Ihnen eine Sofortversorgung mit den neuen „BLX“-Implantaten der Firma Straumann vor. Beim hier folgenden Fall von Januar 2020 haben wir einen Patienten Anfang 20 versorgt, dessen vier obere Frontzähne aufgrund von Zysten extrahiert werden mussten. Im Anschluss daran erhielt dieser erst einmal eine konventionelle Interimsprothese von 12–22 – mit der der Patient aus optischen Gründen aber nicht wirklich zufrieden war. Deshalb war für uns klar: Eine provisorische Sofortversorgung musste her! Da es bei diesem Fall nicht sicher vorherzusehen war, ob die Implantate exakt in der geplanten Position zu inserieren sein würden, fiel die Entscheidung, mit der Bohrschablone lediglich eine Pilotbohrung durchzuführen, die Implantatpositionen intraoperativ mit einem Intraoralscan festzuhalten und diesen an uns zu übermitteln. Auch hier wurden zunächst wieder die gewünschten Implantatpositionen vorab in der 3D-Planungssoftware bestimmt (Abb. 16 u. 17) und und mittels 3D-Druck-Verfahren bei uns im Haus in eine Bohrschablone für die Pilotbohrungen umgesetzt. Mithilfe der neu gewonnenen Daten haben wir innerhalb weniger Stunden eine provisorische Brücke aus PMMA gefertigt (Abb. 18–20), welche dem Patienten am Folgetag eingesetzt wurde (Abb. 21 u. 22).
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Abb. 16 u. 17: Blick in die Planungssoftware.
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Abb. 18–20: Konstruktion der provisorischen Brücke, aus PMMA gefertigt.
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Abb. 21 u. 22: Eingliederung am Folgetag.
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„Volldigitale“ provisorische Implantatkronen – präoperativ ausgeliefert
Der letzte hier besprochene Fall, welcher von uns im Februar 2020 bearbeitet wurde, war gleichzeitig unsere erste full-guided BLX-Sofortversorgung mit präoperativ gefertigten provisorischen Implantatkronen. Nach der Planung der Implantatpositionen wurden die gewonnenen Daten in die Konstruktionssoftware übertragen und anschließend zwei okklusal verschraubte PMMA-Kronen entworfen. Auch hier mussten wir selbstverständlich wieder beachten, dass die provisorischen Kronen aus jeglicher Funktion genommen wurden (Abb. 23 u. 24).
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Abb. 23 u. 24: Konstruktion von zwei provisorischen Implantatkronen.
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Abb. 25: Gestaltung des Emergenzprofils.
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Abb. 26: Die fertigen PMMA-Kronen auf ihren Titanbasen.
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Durch die präoperative Fertigung der Kronen war es uns auch hier möglich, das Emergenzprofil nach unserem Wissen und unseren Vorstellungen zu gestalten (Abb. 25), um später bei der definitiven Versorgung das bestmögliche Ergebnis erzielen zu können. Nach der Fertigung der PMMA- Kronen in unserem Labor wurden diese noch mit den entsprechenden Titanbasen verklebt (Abb. 26), poliert und zusammen mit den Full-guided-Bohrschablonen an den behandelnden Zahnarzt ausgeliefert. Die anschließende Implantation wurde auf Wunsch der Patientin auf zwei Sitzungen aufgeteilt. Zuerst erfolgte die Implantation im Oberkiefer. Die Operation verlief ohne jede Komplikation und beanspruchte nur wenig Zeit. Zum Abschluss zeige ich noch Impressionen der Implantation (Abb. 27 u. 28) und der provisorischen Kronen in situ zwei Wochen nach der Operation (Abb. 29).
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Abb. 27: Inserieren des Implantats regio 36 durch die Bohrschablone hindurch.
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Abb. 28: Blick auf das vorbereitete Implantatbett.
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Abb. 29: Provisorische Krone im Oberkiefer zwei Wochen nach der OP.
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Mein Fazit
Auch wenn wir in der Zahntechnik in den vergangenen Jahren immense technische Fortschritte erreicht haben und es immer mehr und mehr automatisierte Prozesse gibt, stehen und fallen solche komplexen Fälle mit den Personen, die hinter all dem stehen. Kleinere Korrekturen, ein ästhetisch hochwertiges Finish, die Möglichkeit, Herr der Lage zu bleiben, wenn es zu unvorhergesehen Komplikationen kommt: Das sind alles Dinge, die ohne den Zahntechniker, den Zahnarzt, den Chirurgen, der mit viel Know-how entsprechend reagieren kann, nicht bewerkstelligt werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die ständige Rücksprache und ein Arbeiten auf Augenhöhe zwischen Zahntechniker, Chirurg und ggf. noch einem überweisenden Zahnarzt, um solche Eventualitäten nach Möglichkeit zu vermeiden. Ich habe das große Glück, mit Dr. Joachim Beck-Mußotter und seinen Kollegen von „Das Zahnkonzept“ in Weinheim und Ladenburg einen Geschäftspartner gefunden zu haben, mit dem sich solche Projekte und Fälle wunderbar realisieren lassen.
Es gilt noch anzumerken, dass allerdings nicht jeder Patient für eine solche Sofortversorgung geeignet ist. „Compliance“ ist hier das oft zitierte Stichwort! Die Wahrnehmung engmaschiger postoperativer Kontrolltermine in der Praxis ist ebenso wichtig wie zum Beispiel der Verzicht auf den Nikotinkonsum oder auf zu harte Nahrung (Möhren, Nüsse) während der Tragzeit des Provisoriums.