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3D-Druck: Status quo und Perspektiven

Dr. Stefan Böhm (l) und PD Dr. med. dent. Andreas Keßler, M.Sc. (r) im Gespräch.
Dr. Stefan Böhm (l) und PD Dr. med. dent. Andreas Keßler, M.Sc. (r) im Gespräch.

„Was uns im 3D-Druck vorschwebt, ist, dass wir in Zukunft Materialgradienten umsetzen können“, das hieße, so präzisiert PD Dr. med. dent. Andreas Keßler, Kronen zu drucken, die im Dentinbereich ein anderes Elastizitätsmodul aufweisen als im äußeren Zahnschmelzbereich. Was sich der ausgewiesene 3D-Druck-Experte von der LMU München außerdem bezüglich der weiteren Entwicklung vorstellt und was derzeit Sache ist, bringt Dr. Stefan Böhm in einem Interview anlässlich der cube days 2022 in Erfahrung.

Ein Schwerpunkt Ihrer wissenschaftlichen Arbeit liegt auf dem 3D-Druck? Wie kam es dazu?

Von den Medien und der Bundesregierung wird der 3D-Druck als moderne und neue Technologie dargestellt – als wichtiger Teil der Industrialisierung 4.0. Tatsächlich reichte Chuck Hull aber bereits in den 1987ern die ersten Patente für die SLA/Stereolithografie ein. Der 3D-Druck ist also nichts Neues. Die Diskrepanz zwischen allgemeiner Wahrnehmung und Realität fand ich faszinierend.

Natürlich lässt sich fragen, warum der 3D-Druck heute erst wieder diesen Hype erlebt. Hier sieht man, was Patente in der Industrie verhindern können, nämlich dass Innovation und Fortschritt weiter vorangehen. Als dann vor einigen Jahren die Patente ausgelaufen sind, begannen viele kleine Start-up-Unternehmen zu forschen und die ersten erschwinglichen 3D-Drucker kamen auf den Markt, was wiederum in der Dental-Welt für Wirbel gesorgt hat.

Man denke etwa an die IDS 2019, bei der gefühlt an jeder Ecke ein 3D-Drucker von Formlabs stand. Diese haben auch sehr gut funktioniert und in Kombination mit den Materialien von Nextdent eine breite Marktakzeptanz geschaffen.

Reden wir doch über die 3D-Druck-Materialien. Was hat sich hier geändert?

Die additive Fertigung ist ein Oberbegriff für unterschiedliche Verfahren. Eines dieser Verfahren ist die Stereolithografie, damit artverwandt ist das Digital Light Processing. Der Unterschied: Bei der Stereolithografie wird das Monomer-Gemisch mit einem Laser selektiv polymerisiert.

Durch sukzessives Aushärten und Aufstapeln der einzelnen Schichten wird ein Objekt aufgebaut. Beim Digital Light Processing hat man eine Art Beamer als Belichtungseinheit. Dieser kann die gesamte Bauplatte auf einmal belichten und ist hierdurch schneller im Bauprozess als das stereolithografische Verfahren.

Chemisch sind die Druckharze ähnlich wie die Harze, welche wir von den direkten Kompositen kennen – TEGDMA, UDMA, Bis-GMA, HEMA. Als Fotoinitiator wird hingegen weniger Campherchinon, sondern Initiatoren im niedrigen Wellenbereich wie TPO verwendet, da die meisten Drucker mit Beleuchtungseinheiten im Bereich von 385 und 405 nm arbeiten.

Was hat sich also geändert oder was ist das Spezifische beim 3D-Druck?

Wir haben die primäre Aushärtung im Drucker und haben dann noch das Postprocessing mit der finalen Polymerisation. Das unterscheidet sich grundlegend von unseren direkten Kompositen, bei denen wir einmalig lichtpolymerisieren. Auf Basis dessen wurde dann bei den 3D-Druckharzen die Monomermixtur angepasst.

Die Füllkörperzumischung stellt die Hersteller jedoch vor Herausforderungen. Große Füllkörper können sedimentieren und ein inhomogenes Druckharz verursachen, kleine Füllkörper erhöhen schnell die Viskosität und führen zu einem nicht druckbaren Harz.

Die ersten provisorischen Materialien haben über recht wenige Füllkörper verfügt – hier haben wir in den Elutionsversuchen viele freie Monomere detektieren können. Durch Einmischen von mehr Füllkörpern – Stand jetzt ca. 30 Volumenprozent – konnten die Biokompatibilität und Materialeigenschaften wie E-Modul, Härte, Biegefestigkeit und Abrasion gesteigert werden.

Warum sollte man eine additiv gefertigte Kunststoffkrone nehmen, wenn man sie auch wunderbar aus Zirkonoxid fertigen kann?

Hier gilt es zu differenzieren. Kunststoff sollten wir nicht mit Keramik bzw. Zirkonoxid vergleichen. Er hat ganz andere Materialeigenschaften und schneidet in den meisten werkstoffkundlichen Untersuchungen schlechter ab als die Keramiken. Aus diesem Grund würde ich den Vergleich anders ansetzen und fragen, wie die Kunststoffe in der additiven und wie sie in der subtraktiven Fertigung sind.

Hier kann man festhalten, dass die gefüllten subtraktiv zu fertigenden Kunststoffe einen höheren Füllkörperanteil haben, weniger Restmonomere beinhalten und höhere Materialeigenschaften aufweisen. Der Vorteil des 3D-Drucks liegt zum einen in der simultanen schnellen Fertigung von mehreren Objekten und zum anderen in der Möglichkeit, sehr dünne Strukturen fertigen zu können. Indikationsbezogen heißt das, dass der 3D-Druck der subtraktiven Fertigung bei Kunststoffen – z.B. Langzeitprovisorien bei Bisshebungen – überlegen sein kann.

Bei dieser Indikation werden häufig dünn auslaufende Ränder benötigt, die durch den Anpressdruck des Fräsers abplatzen können. Dieses Problem haben wir bei der additiven Fertigung nicht.

Zusätzlich hat der 3D-Druck im Vergleich zum Fräsen bzw. Schleifen den ökonomischen Vorteil, dass immer nur so viel Material aufgebaut wird, wie es die Konstruktion erfordert. Es ist somit materialsparender als das subtraktive Verfahren.

Das sind ja gute Argumente …

Inwieweit es sich hier um gute Argumente handelt, müssen Sie mit einem Zahntechniker besprechen. Ich glaube, dass es gute Argumente sind. In Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte ist die Tatsache, dass durch den 3D-Druck der Materialverlust absolut gering gehalten wird, in jedem Fall positiv, und eine schnellere Fertigung schafft den Freiraum, sich anderen Arbeiten zu widmen.

Die gefrästen Scheiben werden ja aber üblicherweise nicht in den Müll geworfen – zumindest nicht bei uns …

Das mag sein, aber Sie müssen ja immer einen gewissen Bereich wegfräsen, um überhaupt an die Konstruktion heranzukommen. Wie gesagt: Beim 3D-Druck verbrauchen Sie nur das Material, welches Sie für die Konstruktion benötigen. Zudem haben Sie eine absolute geometrische Freiheit.

So können Sie theoretisch eine Kugel drucken, die innen hohl ist, oder Teile, die ineinandergreifen wie Zahnräder. Das ist mit der subtraktiven Fertigung nicht möglich. Mit dem 5-Achs-Simultan-Fräsverfahren hat man diese Problematik zum Teil gelöst.

Allerdings sind Sie dabei abhängig von der Größe des Fräsers – eine mechanische Limitation, die Sie beim 3D-Drucken nicht haben. Sie haben beim Druck nicht den Anpressdruck des Fräsers, keinen Verschleiß der Instrumente kombiniert mit geringem Materialverlust und eine komplette geometrische Freiheit. Und um den Bogen zum Zirkonoxid zu spannen: Es gibt ja mittlerweile auch das LCM-Verfahren (Lithography-based Ceramic Manufacturing), mit dem Sie auch Keramiken 3D-drucken können.

Wenn Sie mich jedoch heute fragen würden, ob ich eine gedruckte oder gefräste Keramik nehme, dann kann ich gewiss sagen, dass ich die gefräste nehme – Stand heute! Das könnte sich natürlich in den nächsten Jahren auch ändern. Was uns nämlich im 3D-Druck vorschwebt, ist, dass wir in Zukunft Materialgradienten umsetzen können.

Das wäre ein Riesenvorteil des 3D-Drucks. Ich spreche hierbei nicht nur von Farbgradienten, sondern auch von materialwissenschaftlichen Gradienten. Das heißt, dass Sie eine Krone drucken könnten, die im Dentinbereich ein anderes Elastizitätsmodul hat als im äußeren Zahnschmelzbereich.

Wo geht die Zukunft also hin?

Fragt man mich, so glaube ich, dass wir eine Kombination aus Drucken und Fräsen bekommen werden. Wir waren z.B. auf der Automatica, einer Messe für industrielle Automatisierung und intelligente Produktion. Dort hatte Siemens ganze Druck- und Frässtraßen vorgestellt.

Dabei wird der Primärkörper gedruckt, vollautomatisch in einer Druckstraße dem Postprocessing unterzogen, was heute noch oft händisch stattfindet, und anschließend an der Oberfläche nochmal nachgefräst, bis die Druckschichten nicht mehr zu sehen sind. Ich glaube also nicht, dass die additive Methode die subtraktive ersetzen wird. Ich denke, es wird Indikationen geben, bei denen die additive Fertigung der subtraktiven überlegen ist.

Siehe z.B. Bohrschablonen oder Modellherstellung. Insgesamt denke ich, dass es zu einer Verschmelzung von additiver und subtraktiver Methode kommen wird: primär additiv für den Grundkörper, sekundär subtraktiv für das Finishing der Oberfläche.

Eine Kombination der Vorteile beider Herstellungsverfahren. So erhalten wir einen Gewinn in der Herstellungszeit und somit eine Kostensenkung.

Möchten Sie eine Prognose bezüglich des 3D-Drucks wagen? Wann, glauben Sie, wird sich der 3D-Druck flächendeckend etablieren?

Mit Prognosen sollte man vorsichtig sein. Wenn ich etwa an Prognosen zum intraoralen Scannen denke, dann lag man da sehr oft falsch.

Ich schätze aber, dass der 3D-Druck in 8 bis 10 Jahren auch in den Praxen ankommen wird. Und dies nicht nur als Nischenmethode, sondern als eine relevante Technologie auch für echten Zahnersatz.

Sie behandeln nach wie vor gerne und haben kürzlich Ihren Master of Science in Prothetik gemacht. Wie arbeiten Sie – eher monolithisch oder bevorzugen Sie es, die Restaurationen zu verblenden?

Generell arbeite ich mittlerweile sehr gerne monolithisch. Wo es nur möglich ist, arbeite ich mit monolithischen Zirkonoxiden oder Lithiumdisilikaten. Die klassische Verblendung versuche ich aufgrund der Chipping-Problematik im Seitenzahnbereich zu vermeiden.

Und das Schöne an den CAD-Programmen ist, dass Kombinationen möglich sind, das heißt z.B. bei einer Brückenkonstruktion mache ich vielleicht den 5er und den 6er monolithisch, am 4er mache ich eine vestibuläre Verblendung, lasse aber die Kontakte monolithisch, damit ich eben dort kein Chipping habe. Und wenn mir die Verblendung des 4ers bukkal wegchippt, dann kann ich diese zur Not mit Kunststoff ästhetisch aufbauen. Dafür muss ich aber im kritischen Randbereich oder im Approximalbereich keine Matrizen legen, um den Kontakt wiederherzustellen.

Sie machen ja viele Suprakonstruktionen und setzen auch die Implantate selbst. Zudem tut sich einiges in den Bereichen 3D-Druck und Prothetik. Arbeiten Sie auch in diesem Bereich?

Jaein (lacht). Ich setze nahezu jedes Implantat navigiert mit entsprechender prothetischer Vorplanung, und meine Suprakonstruktionen werden auch digital gefertigt. Bei Totalprothesen sehe ich den 3D-Druck ambivalent.

Spreche ich mit den entsprechenden Herstellern, kommentieren diese oft, dass es sich dabei um einen Markt handelt, den man eher in den USA sieht. Warum?

Weil wir hier in Deutschland so viele gute Zahntechniker haben, die das Drucken von Prothesen in der Zahnarztpraxis nicht unbedingt notwendig machen. Man geht davon aus, dass aufgrund der Größe der USA und der damit verbundenen Knappheit von guten Zahntechnikern das Drucken von Prothesen eher relevant ist.

Glauben Sie, dass das Drucken von Totalprothesen für Zahnärzte in Deutschland sinnvoll sein könnte, gerade angesichts der Vergütung in der GKV? Denn wenn man Totalprothesen richtig machen will und dabei nicht 3D-druckt, ist das für einen Zahnarzt nicht besonders lukrativ, da es viel Zeit kostet.

Bei gedruckten Totalprothesen ist derzeit der Restmonomer-Gehalt noch definitiv höher als bei gefrästen Totalprothesen. Außerdem sehe ich die Schrumpfung und die darauffolgende Passung der gedruckten Prothesen kritisch. Hier müsste man die Schrumpfung eventuell softwaretechnisch mit einberechnen, da 3D-gedruckte Objekte nun mal eine Schrumpfung haben.

Letztlich sehe ich noch die gedruckten monochromatischen Kunststoffzähne wegen ihrer einfarbigen und damit ausbaufähigen Ästhetik kritisch – im Vergleich zu in zahntechnischen Laboren hergestellten Restaurationen wirken die 3D-gedruckten Kunststoffzähne stumpf und nicht lebendig. Ich sehe also die 3D-gedruckte Totalprothese noch nicht auf dem Niveau der konventionell hergestellten.

Wo sehen Sie grundlegend noch Potenzial für den 3D-Druck?

Im Zusammenhang mit dem Drucken von Keramiken sehe ich da noch viel Potenzial. Sie können im LCM-Verfahren (Lithography-based Ceramic Manufacturing) auch Hydroxylapatit und β-Tricalciumphosphat 3D-drucken. Dies ist z.B. beim Drucken von Knochenblöcken nützlich, die man in Operationen verwenden könnte.

Viele Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen sehen darin ein großes Potenzial. So könnte man Knochenfragmente präoperativ additiv fertigen, und zwar mit den korrekt gesetzten Schraubenöffnungen. Und auch was die Biokompatibilität betrifft, sind die ersten Versuche äußerst vielversprechend.


Zusätzliche Informationen

Das Interview wurde im Vorfeld des Keramik-Kongresses cube days 2022 von Dr. Stefan Böhm, Beratender Zahnarzt bei Dental Direkt, geführt. Die Kongress-Review und alle Vorträge im Re-Live sind online abrufbar.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Andreas Keßler