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Teil 9: Wie man außerhalb Deutschlands zum Zahntechniker wird

Die Zahntechniker-Ausbildung in Polen

18.06.2019

Blick auf Polen auf einer Karte.
Blick auf Polen auf einer Karte.

Deutschlands Nachbarländer könnten vielfältiger nicht sein – nachdem wir einer vergangenen Ausgabe einen ersten Blick in östliche Richtung geworfen und entdeckt haben, wie man in Ungarn zum Zahntechniker wird, wollen wir noch kurz dort verharren – und schauen, wie es unsere polnischen Nachbarn machen. Die polnische Ostsee kennen Sie bestimmt, die wunderschöne Hauptstadt Warschau mit ihrer vielfältigen, historischen Architektur ebenso. Und auch die Küche unseres Nachbarlandes erfreut sich bei Fleisch- und Teigwarenliebhabern großer Beliebtheit. Pierogi, Bigos und Barszcz kennen Sie nicht? Diesen Genuss sollten Sie sich nicht vorenthalten! Doch wie läuft das bei den Polen eigentlich mit der Ausbildung? Wie werden junge Menschen dort zum Zahntechniker ausgebildet?

Schauen wir uns doch erst einmal an, wie das polnische Bildungssystem aufgebaut ist. Hier müssen wir aktuelle Ereignisse berücksichtigen, da im September 2017 eine Bildungsreform in Kraft trat, die in Polen stark kritisiert wird. Polens letztes Schulsystem war in drei Teile gegliedert: Im Alter von sechs Jahren starteten die Kinder ihre Schullaufbahn mit der sechsjährigen Grundschule, der „szko?a podstawowa“. Anschließend folgte das „gimnazjum“, eine Art Mittelstufe, die die Schüler drei Jahre besuchten. Nach dem gimnazjum teilten sich die Wege, und die Jugendlichen konnten wählen, ob sie das dreijährige allgemeinbildende Lyzeum („liceum ogólnokszta?cce“, vergleichbar mit deutschem Gymnasium), das spezialisierte Lyzeum („liceum profilowane“, ein Gymnasium mit bestimmten Schwerpunkten, ebenfalls dreijährig), das vierjährige Technikum (technische Berufsausbildung mit Abitur) besuchen oder gleich eine Berufsausbildung starten.

Doch jetzt ist alles anders: Die Mittelstufe wurde mit einem Mal komplett gestrichen. Dafür wurde die Grundschule um zwei Jahre verlängert und das Lyzeum beginnt ein Jahr früher. Die Probleme, die diese Änderung mit sich bringt, sind vielzählig: So werden die Kapazitäten der Grundschulen gnadenlos gesprengt, da diese nun viel mehr Schüler aufnehmen müssen – drei ganze Jahrgänge! Auch die Lehrpläne wurden angepasst und auf dem Stundenplan steht nun weniger Naturwissenschaft, sondern mehr Landesgeschichte und Verehrung nationaler Helden, um das Volkszugehörigkeitsgefühl der jungen Polen zu stärken. Proteste seitens der Lehrer und Eltern haben nichts gebracht, die Reform wurde durchgesetzt und läuft nun schon im zweiten Jahr.

Ausbildung ohne Gehalt, dafür schneller

Doch das Leben geht weiter – und somit auch die Ausbildungen der jungen Polen. Und damit kommen wir zur spannenden Frage: Was genau erwartet diese eigentlich, wenn sie sich entscheiden, Zahntechniker zu werden?

Ein Abiturzeugnis wird von den Bewerbern nicht verlangt, der mittlere Schulabschluss ist ausreichend, um die Ausbildung zum „technik dentystyczny“ zu starten. In Polen findet die Zahntechniker-Ausbildung an einer postsekundären beruflichen Schule statt; die staatliche Variante dieser ist kostenfrei, einige private Schulen sind jedoch kostenpflichtig. Anders als in Deutschland also bekommen die Azubis kein Lehrlingsgehalt. Auch die Ausbildungsdauer ist in unserem Nachbarland deutlich kürzer: In nur 2,5 Jahren werden die jungen Polen Zahntechniker.

Auch die Regelungen hinsichtlich der Lehrprogramme und schulischen Lehrpläne unterscheiden sich stark von den deutschen Bestimmungen. Berufliche Schulen haben in Polen weitreichende Entscheidungsbefugnisse. Die Unterrichtsfächer – Anatomie mit Elementen der Physiologie, Modellation, Materialkunde, Kieferorthopädie, Zahntechnik und praktische Übungen – sind zwar festgesetzt, jedoch dürfen sie selbst entscheiden, welches Fach in welchem Umfang behandelt wird. Der Anteil an praktischen und theoretischen Lehreinheiten variiert daher von Schule zu Schule deutlich; der Praxisanteil überschreitet die 45% meistens nicht. Das Arbeiten und Lernen in einem Labor findet nur in Form eines zweiwöchigen Praktikums statt.

Privates oder öffentliches Labor?

  • Warschau mit seinen rund 1,7 Millionen Einwohnern ist die Hauptstadt Polens.

  • Warschau mit seinen rund 1,7 Millionen Einwohnern ist die Hauptstadt Polens.
    © Skitterphoto/Pixabay.com
Nach dem Abschluss haben die frischgebackenen Zahntechniker mehrere Optionen: Sie können entweder in einem öffentlichen Labor für Prothetik und Kieferorthopädie arbeiten oder aber in einem privaten. Die zweite Variante verspricht bessere Verdienstaussichten als die erste. Eine weitere Option ist es, sich selbstständig zu machen und ein eigenes Labor zu gründen – der Meistertitel ist in Polen für die Anmeldung eines Gewerbes bzw. das selbstständige Führen eines Betriebes nicht erforderlich. Die Möglichkeit, eine Meisterprüfung abzulegen, besteht dennoch; einen so hohen Stellenwert wie in Deutschland hat dieser Titel in Polen jedoch nicht. Als Zahntechniker in Polen hat man beinahe identische Aufgaben wie die deutschen. Zu den wichtigsten zählen die Herstellung und Reparatur von abnehmbarem und festsitzendem Zahnersatz und kieferorthopädischen Geräten zur Zahnregulierung. Ihre Aufgaben erledigen Zahntechniker im Auftrag des Zahnarztes, manchmal auch in der direkten Zusammenarbeit während der Behandlung in einer Zahnarztpraxis. Sowohl den Abdruck als auch das spätere Anpassen des Zahnersatzes dürfen die Zahntechniker auf Anweisung des Zahnarztes direkt am Patienten vornehmen.

Berufsstandvertretungen

Handwerkskammern und Innungen, die für abgegrenzte Bezirke zuständig sind, gibt es auch in unserem Nachbarland. Für die Handwerker und die Handwerksunternehmen ist die Mitgliedschaft in den Handwerkskammern freiwillig; die Kammern finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge. Hauptaufgaben der regionalen Handwerkskammern sind die Repräsentation und Interessenvertretung ihrer Mitglieder, Beratungsdienstleistungen sowie Durchführung von Meister- und Facharbeiterprüfungen. Landesweit gibt es etwa 500.000 Handwerksbetriebe, von denen etwa 40% in gewerkübergreifenden Innungen organisiert sind. Die Mitgliedschaft in einer solchen Innung ist obligatorisch, sofern keine Mitgliedschaft in einer Handwerkskammer besteht.

Wir sehen also: Zwischen der deutschen und der polnischen Zahntechniker-Ausbildung bestehen viele Unterschiede in verschiedenen Bereichen. Jedoch besteht eine große Gemeinsamkeit, die völlig unabhängig jeglicher Ländergrenzen ist: die enorme Wichtigkeit gut ausgebildeter Fachkräfte, die dafür sorgen, dass die Menschen ohne Sorge und Scheu lachen und „Zähne zeigen“ können.  

Nathalie Ottiger



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