Produktverantwortung des Zahnarztes und Zahntechnikermeisters Teil 1
Mit der Auftragserteilung an ein Labor beginnt ein sehr komplexes Zusammenspiel der verschiedenen Medizinprodukthersteller, die neben den Materialien, der Technik, der Schaffung von digitalen Daten und der Aufgabenteilung in der Herstellung der Prothetik dieses Laborauftrages beteiligt sind. Jeder, der bei der Herstellung dieser Prothetik Leistungen erbringt und jeder, der Materialien erzeugt, die später als Werkstoffe in die Mundhöhle des Patienten kommen, ist als Medizinprodukthersteller hier in der Verantwortung.
Der Arzt, der die Voraussetzungen schafft und den Auftrag artikuliert ist in einer Schlüsselposition. Er legt fest wie weitläufig der Spielraum zwischen Material und Technik werden darf. Je klarer der Laborauftrag strukturiert und durch bestimmte geforderte Produktionswege festgelegt wird, umso enger wird für den Zahntechniker das Spielfeld. Die verbindliche Forderung nach bestimmten Verfahren und Materialien steht nicht überall so expliziert auf dem Auftragszettel und ist häufig durch täglich wiederkehrende Leistungsabläufe bestimmt, die sich aus einem gewissen Selbstverständnis im Zusammenspiel zwischen Arzt und Techniker abspielen. So kommt es dabei zu sogenannten laborspezifischen Kundenspezifikationen, die ein Labor zur Abwicklung der immer wiederkehrenden Auftragsabwicklung mit heran zieht. In diese allgemeinen Forderungsaufzeichnungen werden kundenspezifische Daten wie Randgestaltung, Materialauswahl und Anforderungsprofile notiert, die immer dann, wenn nichts anderes auf dem Laborauftrag steht, zum Einsatz kommen. Man hat damit so was wie eine stumme Übereinstimmung der Anforderungen, die nicht wirklich auf den Auftrag bezogen stimmig sein müssen. Mit anderen Worten, man verlässt sich auf den Anderen, dass das Gewerk einer solchen Produktund Technikkette reibungslos funktioniert.
Forensik
Im Laboralltag werden diese Zusammenhänge meistens nicht so in der Fokusebene sichtbar. Erst wenn es mal zum Supergau kommt und eine gerichtliche Auseinandersetzung den Meister vor den Richter führt, werden diese Spielregeln plötzlich sichtbar und schwerwiegend. Die Forensik eines solchen Auftrags ist häufig mangelhaft, Arbeitsabläufe werden nicht ausreichend dokumentiert, Materialien nicht vollständig erfasst und Schuldzuweisungen in der fehlerhaften Durchführung dieser Dienstleistungen liegen schnell auf dem Tisch. Da reich es schon aus, dass bei der Bearbeitung ein kleines Loch in der Metallkrone entstand, welches durch den Zahntechniker perfekt zugelötet wurde. Das Nichtregistrieren dieser nicht abrechnungsfähigen Korrektur und das Nichterscheinen des zum Einsatz gebrachten Lotes fallen auch bei kritischer Betrachtung des Auftrags und der Begleitpapiere nicht auf. Aber genau das ist eventuell in dieser Arbeit bei dem Patienten von großer Bedeutung. Reagiert dieser Mensch eventuell auf die Korrosionsprodukte des Lotes und führt das zu einer Betrachtung der Arbeitsleistung nach dem MPG, so könnte sich hier schon ein schwerwiegender Verstoß gegen die gültigen Richtlinien abzeichnen. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Patient und Medizinproduktherstellern sind heute keine Seltenheit mehr. Die im MPG verankerte Beweisumkehrung schützt dabei den Patienten und fordert vom Medizinprodukthersteller die Beweisführung, dass es sich bei dem angefertigtem Medizinprodukt in allen Punkten auch um ein solches handelt.
Wozu dient das Medizinproduktgesetz?
Zweck dieses Gesetzes ist es, den Verkehr mit Medizinprodukten zu regeln und dadurch für die Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte, sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritter zu sorgen. Medizinprodukte im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung beim Menschen für bestimmte Zwecke bestimmt sind.
Die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte ist eine EG-Richtlinie und wird in Deutschland und Österreich kurz als Medizinprodukterichtlinie bezeichnet. Sie ist das wichtigste Regelungsinstrument für die Sicherheit von Medizinprodukten im europäischen Wirtschaftsraum. Sie wurde 2007 durch EU-Änderungsrichtlinie 2007/47/EG in großen Teilen modifiziert. Diese Änderungen wurden weitestgehend mit dem 21. März 2010 EU-weit rechtswirksam.
Es gibt eine Einteilung in vier Klassen. Sie sind EU-weit durch den Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG festgelegt. Klasse I: Keine methodische Risiken, geringer Invasivitätsgrad, kein oder unkritischer Hautkontakt, vorübergehende Anwendung ? 60 Minuten. Klasse IIa: Anwendungsrisiko mäßiger Invasivitätsgrad, kurzzeitige Anwendungen im Körper (im Auge, intestinal, in chirurgisch geschaffenen Körperöffnungen) kurzzeitig ? 30 Tage, ununterbrochen oder wiederholter Einsatz des gleichen Produktes. Klasse IIb: Erhöhtes methodisches Risiko, systemische Wirkungen, Langzeitanwendungen, nicht invasive Empfängnisverhütung, langzeitig ? 30 Tage, sonst wie bei kurzzeitig. Klasse III: Entspricht hohem Gefahrenpotential, besonders hohes methodisches Risiko zur langfristigen Medikamentenabgabe. Inhaltsstoff tierischen Ursprungs und im Körper unmittelbare Anwendung an Herz, zentralem Kreislaufsystem oder zentralem Nervensystem. Invasive Empfängnisverhütung und natürlich invasive Empfängnisverhütung. Die Zahnprothetik gehört damit zu der Klasse IIb und ist eine Sonderanfertigung.
Sonderanfertigungen müssen die Anforderungen aus den für sie geltenden Bestimmungen des § 12 Abs. 1 i.V.m. § 7 MPG und i.V.m. § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 2, § 7 Abs. 5 der Medizinprodukte-Verordnung (M 3.1) erfüllen. Der Sonderanfertiger ist ein Hersteller i. S. von § 3 Nr. 15. Dazu gehören Zahntechniker, Hörakustiker, Orthopädietechniker, Orthopädieschuhmacher, Augenoptiker sowie Apotheker und Zahnärzte, soweit sie Sonderanfertigungen i. S. von § 3 Nr. 8 herstellen und erstmalig in den Verkehr bringen und/oder in Betrieb nehmen. Ihnen obliegen die gleichen Verpflichtungen wie einem jeden Hersteller i. S. von § 3 Nr. 15, soweit das Gesetz nichts anderes regelt. (Textauszüge: http://www.dimdi.de/static/de/mpg/recht/index.htm)
Bindender Laborauftrag
Befasst man sich als Zahntechniker mit dem Medizinproduktgesetz, so werden dabei viele Arbeitsprozesse und Verarbeitungsmaterialien erneut auf den Prüfstand gestellt. Der Auftrag des Zahnarztes auf einem Laborzettel ist schlicht weg eine Verordnung wie auch das Rezept des Arztes für den Apotheker.##pic_2_r## Das heißt, der Zahntechniker muss den Auftrag genauso wie im Laborauftrag beschrieben, ausführen und hat keine Variationsmöglichkeit. Hat der Arzt eine globale Auftragserteilung zum Beispiel für den Materialeinsatz diedes Laborauftrages gegeben, so kann in diesem Fall der Auftragnehmer dann seine Auswahl des Materiales treffen. Selbstverständlich ist die Auswahl nach den Regeln des MPG konform durchzuführen.
Betrachten wir folgendes Beispiel: Der Laborauftrag lautet: Herstellung einer Procera Zirkondioxidkrone vollverblendet, Zahnfarbe A2. In diesem Fall muss das Labor den Stumpf mit dem Scanner der Firma Nobel Biocare scannen und mit Hilfe der Nobel- Biocare-Software die Kronenkappe designen. Da es sich bei der Firma Nobel Biocare um ein geschlossenes System handelt und der Auftragsfile nur in ihrem Datenformat akzeptiert wird, ist dieser Weg bis zur Bestellung schon einmal vorgegeben. Nach Auftragsvergabe und Produktion der Kronenkappe kommt diese per UPS ins Labor und kann hier mit allen von der Fa. Nobel Biocare freigegebenen Verblendkeramiken fertiggestellt werden. Die Dokumentation sämtlicher Lotnummern und Chargennummer der Keramikmassen für die Verblendung ist Bestandteil der Konformitätserklärung.
Sowohl die Rechnung von dem Hersteller mit der Auftragsnummer und der Filenummer, als auch die dem Produkt zugeordnete Konformitätserklärung sind Bestandteil der Auftragsabwicklung. Auch wenn das Labor eine Inhousefertigung besitzt und selbstständig die gleichen technischen Schritte durchführen kann, so darf selbst wenn das Produkt am Ende baugleich und aus den gleichen Werkstoffen ist, eine Eigenproduktion nicht stattfinden.##pic_3_r## Die Produktbindung des Auftraggebers ist in dem Laborauftrag klar definiert (Procera®-Krone). Sollte das Labor diesen Weg missachten und durch eine Eigenproduktion die Zirkondioxidkappe selber fertigen, so wird spätestens bei der Konformitätserklärung die Zuordnung der Materialchargen und Lotnummern des Zirkondioxidrohlinges deutlich und das Fehlen der durch die Firma Nobel Biocare wesentlichen Angaben Ihrer Auftragsnummer und der Konformitätszuordnung sichtbar. Richtig schlimm ist es, die Konformitätserklärung zu manipulieren und so zu tun als sei das Produkt von Nobel Biocare. Damit geht man vorsätzlich den falschen Weg und das ist bei einem Streit über die Medizinproduktkonformität in jedem Fall strafbar.
Materialauswahl
Zirkondioxid als Dentalmaterial versetzt Zahntechniker und Mediziner in die Lage, im Front- und Seitenzahnbereich durchgängig mit vollkeramischen Werkstoffen zu arbeiten. Dies ist der hohen Biegefestigkeit und der hohen Risszähigkeit des Zirkondioxids zu verdanken. Aber erst die Zugabe von Yttriumoxid oder Aluminiumoxid stabilisiert es und macht es für die Zahnmedizin brauchbar. Diese Kombination verleiht Zirkonoxid-Restaurationen Sicherheit und Langlebigkeit. Als Laborinhaber hat man mittlerweile die Qual der Wahl bei der Auswahl seines Zirkondioxid-Lieferanten. Viele der angebotenen Rohlinge sehen gut aus und lassen sich problemlos in den verschiedenen Anlagen verarbeiten. Nach dem maschinellen Bearbeiten und Sintern kann ein brauchbares Ergebnis erreicht werden. Aber sind sie auch sicher, dass das benutzte Ausgangsmaterial auch wirklich als Medizinprodukt zugelassen ist? Für den Zahntechniker ist es heutzutage nicht nur wichtig, sein CAD/CAM-System zu kennen. Er muss ebenso fundierte Materialkenntnisse besitzen. Deshalb ist es notwendig, dass die Produzenten die Karten auf den Tisch legen. Angefangen bei den notwendigen Bescheinigungen zur CEZertifizierung und durchgeführten Untersuchungen über Ursprungszertifikate für die verwendeten Rohmaterialien bis hin zu einer detaillierten, technischen Dokumentation und der Einhaltung der DIN -Norm ISO 6872 für Dentalkeramik.
Betrachtet man die Angebote der Industrie, die vorgesinterte Zirkondioxidrohlinge für dentale Produkte anbieten, so ist man überrascht wie groß die Preisunterschiede verschiedener Anbieter für das vermeintlich gleiche Produkt sind. Versprochen wird hier fast immer, dass die zum Verkauf kommenden Materialien chemisch und physikalisch die gleiche Zusammensetzung und Stabilitätswerte haben wie die Produkte führender Dentalfirmen. Industriezirkondioxid für einfache industrielle Anwendungen z.B. im Anlagenbau, unterliegt aber nicht den medizinischen Anforderungen. Die Rohstoffe für Zirkondioxidrohlinge sind überwiegend für technische Anwendungen vorgesehen. Nur spezielle Chargen werden für medizinische Zwecke gefertigt und unterliegen dem MPG (Klasse IIb, in den USA der FDA-Zulassung).
Die Anforderungen an ein Medizinprodukt bei der Herstellung von ZrO2 unterscheiden sich deutlich von der Industrieware. Medizinisch genutztes Zirkondioxid wird unter sehr hohem Druck kaltisostatisch im sogenannten wet-bag-Verfahren verdichtet. Bei diesem Pressverfahren ist die gerichtete Anordnung der Kristalle sehr gering, was sich positiv auf die Sinterschrumpfung auswirkt. Gerade bei größeren Brükkenkonstruktionen ist das von Bedeutung. Diese sehr aufwändige und zeitintensive Herstellungstechnik wird nur bei hochwertigen ZrO2 durchgeführt und sorgt für eine defektfreie sowie passgenaue Matrix. Verlassen sollte man sich nicht auf Marketingstrategien, die zur Gewinnmaximierung der Händler benutzt werden und den wissenschaftlichen touch vermitteln, das Gerüst komme schon fertig zertifiziert und perfekt gestylt aus dem Sinterofen. Dazu kommt, dass Industrieware nicht als Medizinprodukt deklariert wird. Ein CE-Zeichen ist eben noch lange kein Garant für ein Medizinprodukt. Das kann jeder Hersteller auf sein Produkt kleben. Die CE-Kennzeichnung (Conformité Européenne) ist eine Kennzeichnung nach EU-Recht für bestimmte Produkte in Zusammenhang mit der Produktsicherheit. Durch die Anbringung der CE-Kennzeichnung bestätigt der Hersteller, dass das Produkt den geltenden europäischen Richtlinien entspricht. Eine CE-Kennzeichnung lässt keine Rückschlüsse zu, ob das Produkt durch unabhängige Stellen auf die Einhaltung der MPG Richtlinien überprüft wurde. Mit einer CE-Kennzeichnung dürfen Medizinprodukte nur versehen werden, wenn die grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG, die unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind, erfüllt sind und ein für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren (nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 MPG) durchgeführt worden ist (§ 6 Abs. 2 MPG).
Erst dann, wenn auch diese Prüfung erfolgreich stattgefunden hat, bekommt das Produkt neben dem CE-Zeichen noch eine vierstellige Nummer und wird zum Medizinprodukt. Dann hat der Hersteller auch die gesamte Kostenstruktur für das Zulassungsprocedere, die wissenschaftlichen Grundlagen und die notwendigen Dokumentationen durchgeführt. Damit kann er seine Aussagen klar qualifizieren und muss sich nicht an andere Aussagen anhängen, nach dem Motto genauso gut wie XYZ. Die CE-Kennzeichnung allein ist kein Gütesiegel (Qualitätszeichen). Benutzt man solche Materialrohlinge, erlischt damit die Konformität des Medizinproduktes und geht in die volle Verantwortung des Zahntechnikers über. Ob bewusst oder unbewusst, spielt dabei keine Rolle. Damit ist der Hersteller in Regressfragen erst einmal aus dem Schneider.