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Stützstift wann?

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ZTM-Chefredakteur Prof. Dr. Peter Pospiech erläutert im folgenden Beitrag Indikationen, Möglichkeiten und Grenzen.

Unter dem Begriff der Kieferrelationsbestimmung versteht man die Zuordnung des Unterkiefers zum Oberkiefer in der angestrebten statischen Okklusionsposition.

Das ist bei der Einzelzahnrestauration und festsitzendem Zahnersatz häufig die Übernahme der habituellen Interkuspidationsposition (HIP) und es braucht häufig überhaupt kein Registrat, wenn noch ausreichend viele Zahnpaare in reproduzierbarer Sicherheit miteinander okkludieren. Mit zunehmendem Stützzonenverlust sind allerdings auch Lageverschiebungen der gesamten Unterkieferspange zumindest als potenzielle Konsequenz in Betracht zu ziehen; Abbildung 1 stellt die möglichen Folgen des Zahnverlustes bzw. auch nur des Zahnhartsubstanzverlustes bei extremen Abrasionen dar. So muss in diesen Fällen vor einer prothetischen Versorgung auch über die Neueinstellung der Kieferrelation nachgedacht werden, die sich dann im prothetischen Workflow als die wichtigste Maßnahme für eine erfolgreiche Therapie darstellt.

Grundsätzliche Überlegungen

Zahn- und Stützzonenverlust kann im Laufe des Lebens langsam und schleichend voranschreiten, sodass auch zunächst einmal kein akutes Beschwerdebild entstehen muss (Abb. 2a). Lediglich physiognomonisch wird der Verlust der Vertikalen schneller offensichtlich (Abb. 2b). Auch wenn keine Schmerzen mit diesen Veränderungen einhergehen, muss man in Betracht ziehen, dass es zu dreidimensionalen Verschiebungen des Unterkiefers und damit auch in den Gelenken kommen an. Die Übernahme der HIP mittels eines einfachen Durchbissregistrates („Quetschbiss“) ist daher mit großen Unwägbarkeiten verbunden und widerspricht dem Gedanken der Totalrehabilitation.

  • Abb. 1: Darstellung der möglichen Folgen von Zahn- oder Zahnhartsubstanzverlust im Restgebiss.
  • Abb. 2a: Reduziertes Lückengebiss mit zusätzlich erheblichen Attritionen und Abrasionen ohne klinische Probleme.
  • Abb. 1: Darstellung der möglichen Folgen von Zahn- oder Zahnhartsubstanzverlust im Restgebiss.
    © Pospiech
  • Abb. 2a: Reduziertes Lückengebiss mit zusätzlich erheblichen Attritionen und Abrasionen ohne klinische Probleme.
    © Pospiech

  • Abb. 2b: Zahnhartsubstanz- und Zahnverlust führen zu Veränderungen in der Kieferrelation.
  • Abb. 3: Darstellung der Eichner-Klassifikation: Ab Eichner-Klasse B 3 sollte eine Neueinstellung der Kieferrelation erfolgen.
  • Abb. 2b: Zahnhartsubstanz- und Zahnverlust führen zu Veränderungen in der Kieferrelation.
    © Pospiech
  • Abb. 3: Darstellung der Eichner-Klassifikation: Ab Eichner-Klasse B 3 sollte eine Neueinstellung der Kieferrelation erfolgen.
    © Pospiech

Es ist deshalb empfehlenswert, dass spätestens ab der Eichner-Klasse B 3 eine Neubestimmung der Kieferrelation erfolgt (Abb. 3). Bis zur Eichner-Klasse B 2 muss zumindest sehr sorgfältig überprüft werden, ob die Übernahme der habituellen Interkuspidationsposition sinnvoll erscheint, sofern die vertikale Beziehung des Unterkiefers übernommen werden kann und der Patient sicher habituell immer wieder dieselbe statische Okklusionsposition trifft.

Kieferrelationsbestimmung

Die Überprüfung der vertikalen Relation gleicht einem Indizienprozess in einem Strafgerichtsverfahren. Es müssen einige Aspekte überprüft werden, die bei Übereinstimmung und Plausibilität zu einer neuen Bisshöhe führen.

Ein wesentlicher Anhaltspunkt ist zum Beispiel der von Mc-Grane angegebene Abstand von 40 mm der tiefsten Punkte der Umschlagfalte neben den Lippenbändchen. Nach diesen Maßen sind auch Phantommodelle konstruiert und sie entsprechen den Empfehlungen zur Wachswallgestaltung bei Totalen Prothesen.

Bei Einproben von Bissschablonen mit Wachswällen oder Wachsaufstellungen sollte ein Sprechabstand von 2 mm bei s-Lauten im Schneidekantenbereich bzw. 5–6 mm bei o-Lauten im Prämolarenbereich vorhanden sein. Weitere Anhaltspunkte („Indizien“) wie die Kollmannschen Proportionen (Abb. 4) helfen ebenfalls, den richtigen Abstand des Unterkiefers zum Oberkiefer zu ermitteln.

  • Abb. 4: Darstellung der Kollmannschen Proportionen als Anhaltspunkt für den Abstand des Unterkiefers zum Oberkiefer.
  • Abb. 5: Darstellung der Abmessungen der Gesichtsproportionen mit dem Goldenen Schnitt.
  • Abb. 4: Darstellung der Kollmannschen Proportionen als Anhaltspunkt für den Abstand des Unterkiefers zum Oberkiefer.
    © Pospiech
  • Abb. 5: Darstellung der Abmessungen der Gesichtsproportionen mit dem Goldenen Schnitt.
    © Pospiech

Hilfreich ist auch das Heranziehen der Proportionen des Goldenen Schnitts, dem viele anatomische Strecken im skelettalen System folgen (Abb. 5).

Auch wenn diese Daten keine naturwissenschaftliche Präzision haben, so sind diese Annäherungswerte doch ein Hinweis darauf, welche Höhe ein Patient einmal hatte bzw. auch gut vertragen kann.

Sehr hilfreich sind natürlich immer Jugendfotos, auf denen neben dem Gesicht vielleicht auch noch Zähne zu sehen sind.

Horizontale Kieferrelation

Die Bestimmung der horizontalen Kieferrelation dient der Bestimmung der Lage des Unterkiefers in der sogenannten „Zentrischen Position“, bei der man die Positionierung der Kiefergelenke seitengleich, nicht verschoben und im Zenit der Fossae articulares positionieren möchte, was man auch als physiologische Ruheposition bezeichnen könnte.

Bei der sogenannten Handbissnahme wird der Patient vom Behandler in die Position geführt, aus der eine reine Rotationsbewegung des Unterkiefers erfolgt.

Nicht selten geht das aber nicht drucklos, sondern mit einem gewissen Kraftaufwand seitens des Behandlers, der den Patientenunterkiefer nach dorsal bringen möchte (Scharnierachsbewegung), während der Patient eher dazu tendiert, reflektorisch nach vorne zu schieben.

Wie weit der Unterkiefer dann im Wortsinn von der Hand des Behandlers „manipuliert“ wird, hängt stark von den individuellen Gegebenheiten ab. Die genaue Bestimmung der Zentrik ist aber mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden und ist eine behandlerdominierte Position.

Das Stützstift- oder Pfeilwinkelregistrat hingegen arbeitet völlig drucklos und manipulationsarm, da sich der Patient weitestgehend selbst registriert. Auch hier müssen Registrierschablonen hergestellt werden. Statt der Montage von Wachswällen werden Registrierplatten montiert, wobei es sich bewährt hat, dass im Oberkiefer der Schreibstift und im Unterkiefer die Schreibplatte befestigt wird.

  • Abb. 6: Darstellung des Grundprinzips des Stützstiftregistrates: ein austarierter Unterkiefer, der in der Muskelschlinge hängt.

  • Abb. 6: Darstellung des Grundprinzips des Stützstiftregistrates: ein austarierter Unterkiefer, der in der Muskelschlinge hängt.
    © Pospiech

Der Unterkiefer hängt dann zahnkontaktfrei in der Muskelschlinge der Kaumuskulatur und ist lediglich in einem Punkt abgestützt, der durch den Schreibstift definiert ist. Folgende Anforderungen müssen für ein Stützstiftregistrat erfüllt werden (Abb. 6):

  • Die Schreibplatte muss parallel zur Kauebene bzw. Camperschen Ebene verlaufen.
  • Der Schreibstift muss in der Medianebene montiert werden.
  • Der Stift sollte sich im Schwerpunkt des Unterkiefers befinden, sodass der Unterkiefer tatsächlich austariert in der Muskelschlinge "schwebt".

Im Zweifelsfall sollte der Stützstift eher weiter dorsal als zu weit anterior montiert werden. Bei zu weit anteriorer Position könnte über eine Hypomochlionwirkung eher die Gefahr der Kiefergelenkkompression entstehen.

Die Schablonen müssen satt und spannungsfrei sitzen und dürfen den Patienten nicht irritieren. Deshalb ist es sehr empfehlenswert, die Schablonen bei noch vorhandenen Zähnen mit Klammern zu verankern, um ein Herausfallen im Oberkiefer bzw. ein „Anlupfen“ im Unterkiefer zu vermeiden. Bei Totalprothesen sollten auch die Schablonen schon eine Saugwirkung haben und bei vorhandenen Implantaten können die Schablonen auch verschraubbar konstruiert werden.

Auch wenn der Patient nicht immer auf Anhieb einen Lehrbuchpfeil wie in der Abbildung 7a zeichnen kann, so wird dies in der Regel nach einiger Übung gelingen, wobei auch nicht unbedingt immer ein Pfeil entstehen muss.

  • Abb. 7a: Lehrbuchpfeilwinkel mit der Spitze im Schwerpunkt des Kiefers.
  • Abb. 7b: Trotz mehrfachen Übens war das Schreiben eines klaren Pfeiles nicht möglich. Die Umhüllende aller Schreibbahnen ist ein Rhombus, dessen Spitze die zentrische Position darstellt.
  • Abb. 7a: Lehrbuchpfeilwinkel mit der Spitze im Schwerpunkt des Kiefers.
    © Pospiech
  • Abb. 7b: Trotz mehrfachen Übens war das Schreiben eines klaren Pfeiles nicht möglich. Die Umhüllende aller Schreibbahnen ist ein Rhombus, dessen Spitze die zentrische Position darstellt.
    © Pospiech

Wichtig ist die eindeutige Markierung der selbsteinnehmbaren Endposition, die auch als Spitze eines Karos (Raute/Rhombus) dargestellt werden kann (Abb. 7b).

Die Verschlüsselung erfolgt in der Regel auf der Spitze, also der dorsalsten selbst einnehmbaren Position.

Stützstiftregistrat: Digital oder analog?

Die Aufzeichnung des Pfeilwinkels hat sich als reliable Methode zur Bestimmung der zentrischen Kieferrelation seit mehr als einhundert Jahren bewährt. Für den Standardpatienten, bei dem „nur“ im Rahmen einer Prothesenherstellung registriert wird, ist die analoge Vorgehensweise sicher ausreichend.

Bei komplexeren Fällen mit ausgeprägten Bisssenkungen und Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion ist es sinnvoll, gegebenenfalls auch die elektronische Variante der Pfeilwinkelaufzeichnung zu wählen. Sie hat den Vorteil, dass die Austarierung des Unterkiefers mittels exakterer Stiftpositionierung besser erfolgen kann. Zum anderen können die Aufzeichnungen gespeichert und longitudinal verglichen werden (Abb. 8). Die vergrößerte Darstellung auf dem Bildschirm erlaubt einen präziseren Vergleich bzw. erleichtert auch die Kommunikation mit dem Patienten.

  • Abb. 8: Ein großer Vorteil des elektronischen Verfahrens ist die Möglichkeit der fortlaufenden Diagnostik und des longitudinalen Vergleichs.

  • Abb. 8: Ein großer Vorteil des elektronischen Verfahrens ist die Möglichkeit der fortlaufenden Diagnostik und des longitudinalen Vergleichs.
    © Pospiech

Diese Vorteile überwiegen deutlich die etwas höheren Kosten, die durch die elektronische Variante entstehen.

Fehlermöglichkeiten

Die in Abbildung 9 aufgeführten Fehlermöglichkeiten können die Pfeilwinkelaufzeichnung behindern bzw. auch zu falschen Ergebnissen führen. Wie bei grundsätzlich allen Registrierbehelfen ist auf eine größtmögliche Präzision und Passung Wert zu legen. Das Vertrauen des Patienten wird schon immer etwas beeinträchtigt, wenn Schablonen vom Oberkiefer herunterfallen oder durch mangelhafte Ausarbeitung schmerzen bzw. nur unter Spannung sitzen. Wichtig ist es auch, dem Patienten zu erklären, was passiert, und dass er die Schablonen – also Stift und Platte – einmal sieht, sodass er sich vorstellen kann, was passiert bzw. was er machen muss. Es empfiehlt sich auch immer in schwierigeren Situationen, dass sich der Patient durch Vorübungen mit den gewünschten Bewegungen vertraut macht.

  • Abb. 9: Auflistung möglicher Fehlerquellen, die eine gute Pfeilwinkelaufzeichnung beeinträchtigen.

  • Abb. 9: Auflistung möglicher Fehlerquellen, die eine gute Pfeilwinkelaufzeichnung beeinträchtigen.
    © Pospiech

Schlussbetrachtungen

Wie bei allen Methoden auch, müssen sich Zahnarzt und Zahntechniker verständigen und miteinander reden. Gute Abformungen sind selbstverständlich für gute Passungen, die Qualität der Schablonen wächst mit der Mühe, mit der man die Vorbehandlungen durchgeführt hat. Gut sitzende Schablonen auf den Meistermodellen sind die Grundbedingung für eine problemlose Registrierung. Wenn diese wenigen skizzierten Aspekte beachtet werden, hat man ein sicheres Verfahren für jede klinische Situation, bei dem ein mühseliges und langwieriges Nacharbeiten von Zahnersatz wegen okklusaler Probleme nicht vorkommt.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Peter Pospiech


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