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Totalprothesen für den Ober- und Unterkiefer

Teil 3: Meine Meisterprüfung

Im hier vorliegenden dritten von fünf Teilen geht ZTM Sebastian Palm im Rahmen der Beschreibung seiner absolvierten praktischen Meisterprüfung auf das Erstellen der geforderten Totalprothesen ein. Er absolvierte die Meisterausbildung am Institut des Zahntechnikerhandwerks in Niedersachsen (IZN Hannover) und schnitt dort als Jahrgangsbester 2018 ab. Daher durfte er sich mit seiner Arbeit am renommierten Klaus-Kanter-Wettbewerb der erfolgreichsten Meisterschüler beteiligen und erzielte den dritten Platz unter allen Bundessiegern.

Totalprothesen nach dem Gerber-Aufstellsystem mit Muskelgriffigkeit im Gingivaanteil. Palm
Totalprothesen nach dem Gerber-Aufstellsystem mit Muskelgriffigkeit im Gingivaanteil.
Totalprothesen nach dem Gerber-Aufstellsystem mit Muskelgriffigkeit im Gingivaanteil.

Abb. 1: Diese Ausgangssituation wurde den Prüfungsteilnehmern vorgelegt. Der Ober- und Unterkiefer wurde dann einer Modellanalyse unterzogen. Palm
Abb. 1: Diese Ausgangssituation wurde den Prüfungsteilnehmern vorgelegt. Der Ober- und Unterkiefer wurde dann einer Modellanalyse unterzogen.

Der hier folgende Beitrag rückt die Fertigung der Totalprothesen nach dem Gerber-Aufstellsystem in den Fokus. Zu diesem Zweck erhielten die Prüfungsteilnehmer Modelle und eine physiognomische Kontrollschablone ausgehändigt (Abb. 1) … jedoch erst zu Beginn der praktischen Prüfung.

Prüfungsvorbereitung

Es war in diesem Fall also nicht möglich, sich konkret anhand dieser Situation für die Prüfung vorzubereiten. Stattdessen wurden im Vorfeld der Prüfung zu Übungszwecken andere Modelle ausgegeben. Analog zu den vorhergehenden Prüfungsteilen wurden in diesem Abschnitt aber ebenfalls das Umsetzungskonzept und die Materialdokumentation erstellt. Denn am IZN sind diese in detaillierter Form gefordert – sowie auch eine Preiskalkulation und Kostenvoranschläge.

Zeitplanung

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Zusätzlich gehörte es zu den Zielen, eine annährend genaue Zeitplanung zu erarbeiten und einzuhalten. Um die konkrete Zeitplanung (Abb. 2) zu ermöglichen, stoppten die Prüfungsteilnehmer schon in der Übungsphase die Zeit, die für die einzelnen Positionen benötigt wurde.

Abb. 2: Ob es im normalen Alltag eines Zahntechnikers tatsächlich realisierbar ist, alle Zeiten für sämtliche Positionen zu stoppen, ist fraglich. Hierfür gäbe es allerdings beispielsweise die Möglichkeit, die Zeiten aus der BEB-Zahntechnik zu nehmen. Diese sind vertrauenswürdige Richtwerte, da sie von REFA-Fachleuten unter normalen Laborbedingungen gestoppt wurden. Sie entsprechen ungefähr den tatsächlich benötigten Arbeitszeiten. Palm
Abb. 2: Ob es im normalen Alltag eines Zahntechnikers tatsächlich realisierbar ist, alle Zeiten für sämtliche Positionen zu stoppen, ist fraglich. Hierfür gäbe es allerdings beispielsweise die Möglichkeit, die Zeiten aus der BEB-Zahntechnik zu nehmen. Diese sind vertrauenswürdige Richtwerte, da sie von REFA-Fachleuten unter normalen Laborbedingungen gestoppt wurden. Sie entsprechen ungefähr den tatsächlich benötigten Arbeitszeiten.
Abb. 3a u. b: Seite 1 und 2 des Kostenvoranschlages. Palm
Abb. 3a u. b: Seite 1 und 2 des Kostenvoranschlages.

Auch während der Prüfung wurde die Zeit genau festgehalten. Zu diesem Zweck befanden sich mehrere Stoppuhren am Platz. Das Stoppen der Zeit war als wesentlicher Bestandteil der Prüfung eingestuft und diente der besseren Kalkulation zur Erstellung des Kostenvoranschlages (Abb. 3a u. b) und der späteren Rechnung. Dieser Schritt ist sehr alltagsrelevant im Berufsleben, denn die gestoppten Zeiten stellen im normalen Laboralltag eine genaue Kalkulationsgrundlage dar, auf deren Basis der Verkaufspreis der Arbeit bestimmt wird. In der Prüfung sollte folglich die Preisdifferenz zwischen dem Kostenvoranschlag und der Rechnung selbstverständlich nicht zu groß ausfallen (vgl. Abb. 2).

Aufgabenstellung/Behandlerwunsch

Die echte Prüfungsaufgabe bestand darin, für den Ober- und Unterkiefer jeweils eine Totalprothese nach dem Gerber-Aufstellsystem zu fertigen. Die Zähne waren vorgegeben (Abb. 4): Garnituren der Firma Candulor (Physiostar und Condyloform ll) sollten hierfür herangezogen werden. Die Seitenzähne sind nach dem Mörser-Pistill-Prinzip geformt. Die Zähne sollten nur B- und C-Kontakte aufweisen. Dabei stellte sich heraus, dass mit dem vorhandenen Zahnmaterial eine exakte Verzahnung nach dem Gerber-Aufstellsystem realisiert werden konnte.

Abb. 4: Beispielvorgaben für die Versorgung mit Konfektionszähnen. Palm
Abb. 4: Beispielvorgaben für die Versorgung mit Konfektionszähnen.
Abb. 5: Ältere Patientenfotos mit der früheren natürlichen Bezahnung. Palm
Abb. 5: Ältere Patientenfotos mit der früheren natürlichen Bezahnung.

Der Patient und der Behandler wünschten eine identische Frontzahnaufstellung analog der früheren Situation mit noch eigener Bezahnung. Aus diesem Grund wurden Fotos des Patienten mitgegeben, auf denen Gesicht und Frontzahnstellung gut zu erkennen waren (Abb. 5).

Vorbereitung

Abb. 6a u. b: Einer der wichtigsten, weil grundlegender Schritt: die Modellanalyse. Palm
Abb. 6a u. b: Einer der wichtigsten, weil grundlegender Schritt: die Modellanalyse.

Im ersten Schritt wurden Split-Cast-Sockel hergestellt und die Modelle einartikuliert. Hier kam die physiognomische Kontrollschablone zum Einsatz. Somit waren die Okklusionsebene und die Stellung der Frontzähne bereits vorgegeben. Bevor dann mit dem Aufstellen der Zähne begonnen wurde, musste die Modellanalyse durchgeführt werden (Abb. 6a u. b). Dieser Vorgang ist sehr wichtig, um während und nach der Aufstellung die Position der einzelnen Zähne zu überprüfen. Nur so kann ein guter Halt der Prothesen erreicht werden.

Die Frontzahnaufstellung

Zur genaueren Orientierung während des Aufstellens der Frontzähne wurde hier mit der physiognomischen Kontrollschablone gearbeitet. Im Praxisalltag sollte der Behandler die Schablone so ausformen, dass die Lippenfülle optimal ist. Die Position der Eckzähne, die Mittellinie sowie die Länge der Einser sollten ebenfalls markiert werden. Nun lässt der Zahntechniker die beiden Wachswälle im Artikulator aufeinanderbeißen und kreiert im Anschluss daraus einen Silikonschlüssel. Nach dem Aushärten ist der Wall bis ca. 1 mm vor der OK-Stufe zu reduzieren; der Rest vom Unterkiefer bleibt komplett, um den Wall gut repositionieren zu können.

Die Aufstellung begann mit den oberen Einsern. Diese wurden in die Stufe des Wachswalls gestellt. Somit waren die Inzisalkanten genau dort, wo sie sein sollten. Um die richtige Neigung der Einser und damit auch die Position der Labialflächen zu bekommen, wurde vorab der Abstand zwischen der physiognomischen Kontrollschablone (in etwa an der Stelle, wo sich nach Finalisierung die Labialflächen befinden würden) und dem Stützstift gemessen. Das Ergebnis wurde dann übertragen, ehe die Zähne, wie gewünscht, noch etwas verschachtelt in Stellung gebracht wurden. Die Position der Einser war perfekt.

Die Zweier wurden etwas kürzer aufgestellt. Die Position der Eckzähne konnte mithilfe des Vorwalles ebenfalls schnell herausgefunden werden, die distale Facette zeigte in Richtung Kieferkammmitte. Nun erfolgte die Aufstellung der Frontzähne des Unterkiefers, die Inzisalkanten der unteren Einser wurden stark nach vestibulär gekippt. Somit störten sie nicht bei der Protrusionsbewegung.

Die Zweier und Dreier wurden etwas länger aufgestellt. Dort gab es aber auch keine Probleme bei der Protrusion.

Die Seitenzahnaufstellung

Die oberen ersten Prämolaren wurden etwas steiler als die Eckzähne aufgestellt, von der Höhe aber auf Okklusionsebene. Im Anschluss daran wurden die unteren ersten Prämolaren gegengestellt.

Die zweiten unteren Prämolaren wurden etwas tiefer als die ersten Prämolaren aufgestellt, mit der Fissur genau über Kieferkammmitte. Bevor der Sechser positioniert wurde, galt es, mit einem Statik-Laser den tiefsten Punkt des Kieferkammverlaufs zu ermitteln. Der Sechser wurde so platziert, dass sich an diesem Punkt die zentrale Fossa befand. Nach jedem Aufstellen eines Antagonisten musste die Okklusion überprüft werden, um sicherzustellen, dass nur Bund C-Kontakte vorhanden waren. Ein Siebener wurde nicht mehr verwendet, da er hinter der Stopp-Linie stehen würde. Dies hätte jedoch den Halt der Prothesen stark beeinträchtigt und würde ggf. zu einem Proglissemet führen. Hätte man einen Siebener aufgestellt, würde er auf einem sehr steilen Teil des aufsteigenden Astes stehen, dies würde eine Hebelwirkung verursachen, welche die Prothese nach vorne schiebt.

Während des Aufstellens fand die Überprüfung der statischen sowie der dynamischen Okklusion statt. Da die Aufstellung nach dem Gerber-System erfolgt war, musste eine bilateral balancierte Okklusion hergestellt werden.

Bei der Laterotrusion schließlich sollte es mindestens eine Dreipunktabstützung geben: eine auf der Arbeitsseite, eine auf der Nichtarbeitsseite und eine im Frontzahnbereich.

Gestaltung der Gingiva

Abb. 7: Muskelgriffige und anatomische Ausformung der Prothesenbasis. Palm
Abb. 7: Muskelgriffige und anatomische Ausformung der Prothesenbasis.

Nachdem alle Zähne fertig aufgestellt waren, stand das Ausmodellieren auf dem Programm. Der Gingivaanteil im Frontzahnbereich wurde anatomisch gestaltet: Dies dient einem natürlich-ästhetischen Erscheinungsbild. Ebenso musste der Gingivaanteil Muskelgriffigkeit aufweisen, um den Halt der Prothesen zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass zum Beispiel die Lippenschilde von der Umschlagfalte bis zum Zahnhals konkav gestaltet wurden, damit der obere und untere Mundringmuskel die Prothese in der sagittalen Position halten (Abb. 7).

Im dorsalen Bereich wurden die Prothesen dünn gestaltet, da sonst der Massetermuskel die Prothese abhebeln könnte. Ebenfalls soll der Funktionsrand für die Bändchen großzügig ausgespart und konkav gestaltet werden, damit diese die Prothese bei Bewegung nicht aushebeln.

Im Oberkiefer wurden Gaumenfalten angebracht, die einerseits der besseren Sprachlautbildung und andererseits der „Griffigkeit“ des Speisebolus dienen.

Um einen guten Halt der Prothesen zu gewährleisten, ist es nicht nur wichtig, den richtigen Kunststoff zu wählen, sondern insbesondere ist die Gestaltung der Prothesenbasis ausschlaggebend. Zu dick gestaltete Prothesenbasen kontrahieren mehr als dünnere. Das zieht Folgeschäden nach sich, zum Beispiel, dass sich im Oberkiefer das Gaumendach abhebt und die Seitenzähne zueinander kippen. Jedoch ist das nicht der einzige Grund. Zu dicke Prothesen stören auch wieder das Mundempfinden des Patienten bzw. zudem die Sprachbildung. Um dem entgegenzuwirken, gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen kann eine Radierung an der A-Linie durchgeführt werden. Andernfalls können auch Bereiche wie der Torus palatinus und die Sutura palatina mediana hohl gelegt werden.

Nicht nur ein zusätzliches, sondern wichtigstes Element für den Prothesenhalt ist der Funktionsrand in der Umschlagfalte mit der Ah-Linie. Dieser hat sozusagen ein Doppelventil: zum einen ein Innenventil – der Teil der Prothese, der am Knochen anliegt, – und zum anderen ein Außenventil, an dem die mimische Muskulatur an der Prothese anliegt.

Um die Kontraktion des Kunststoffs gering zu halten, kann der Zahntechniker im Alltag vorab die Basis aus Kunststoff herstellen, worauf dann ein Wachswall zur Bissnahme gefertigt wird. Später muss dann nur noch der Bereich der Zähne mit Kunststoff aufgefüllt werden.

Fazit

Abb. 8a-c: Verschiedene Ansichten der vollendeten Totalprothesen. Ein ästhetisches Werk in natürlicher Anmutung, das die Funktion sichert, für Kaukomfort sorgt und die normale Lautbildung ermöglicht. Palm
Abb. 8a-c: Verschiedene Ansichten der vollendeten Totalprothesen. Ein ästhetisches Werk in natürlicher Anmutung, das die Funktion sichert, für Kaukomfort sorgt und die normale Lautbildung ermöglicht.

Totalprothesen nach dem Gerber- Aufstellsystem bilden ein schlüssiges System, das für die praktische Anwendung sehr gut geeignet ist. Werden alle Faktoren beachtet und alle Aufstellkriterien eingehalten, ist das auf den ersten Blick komplexe Prinzip gut nachzuvollziehen. Natürlich gibt es auch noch andere funktionierende Aufstellsysteme, wie z.B. APF NT oder TIF, die sich nur teilweise von Gerber unterscheiden, sie erfüllen ähnliche Funktionen.

Da Totalprothesen im Berufsalltag eines Zahntechnikers regelmäßig zur Anwendung kommen, stellte sich dieser Prüfungsabschnitt als sinnvolle zukunftsbezogene Aufgabe heraus, die der Zahntechnikermeister in jedem Fall gekonnt umsetzen können muss (Abb. 8a–c).

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