Totalprothetik

Neue Wege beschreiten

Totalprothetik nach den Regeln für festsitzenden Zahnersatz

Abb. 1a: Die Position der Implantate im Kieferknochen kann von allen Seiten betrachtet werden – auf diese Weise lassen sich alle virtuellen Implantate perfekt positionieren.
Abb. 1a: Die Position der Implantate im Kieferknochen kann von allen Seiten betrachtet werden – auf diese Weise lassen sich alle virtuellen Implantate perfekt positionieren.

Die navigierte Implantologie lässt sich nutzen, um die Totalprothetik zu revolutionieren. Kompromisse zwischen Funktion und Ästhetik wie bei schleimhautgetragenen Totalprothesen müssen nicht sein. Denn nach der Computer- oder Volumentomografie können Implantate im zahnärztlich-zahntechnischen Miteinander so geplant werden, dass der Patient sein Gesicht zurückerhält – so wie er es noch mit seinen natürlichen Zähnen kennt.

Weiterentwicklungen in der Zahnmedizin sowie neue Produktionsverfahren in der Zahntechnik sind nicht voneinander lösbar und bedingen die gegenseitige Kenntnis der Vorgehensweisen. Beispielsweise geben dreidimensionale Darstellungsmöglichkeiten sowohl dem Behandler als auch dem Techniker die Möglichkeit, Präzision leichter zu erreichen und zu einer besseren Vorhersagbarkeit zu kommen. Dort, wo der Nutzen leicht einsehbar ist, werden 3D-Programme schon jetzt immer häufiger angewandt, z. B. in der Implantologie in Form der computergesteuerten Navigation. In diesem Rahmen stellt Autor ZTM Andreas Hoffmann im Folgenden die perfekte Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Zahntechniker dar.

Das neue Arbeiten ist computergestützt

Will man einen Fall im engen Miteinander lösen, impliziert das: Das Wissen der Zahnmedizin darf für den Techniker kein Buch mit sieben Siegeln sein. Umgekehrt müssen zahntechnische und materialkundliche Erfordernisse auch im Bewusstsein der Zahnärzte verankert sein. Mir als Zahntechniker fällt es heute überhaupt nicht schwer, in dem Patienten auch meinen Patienten zu erkennen. Denn mithilfe neuer Technologien sind auch wir in dem Netzwerk digital am Stuhl und live mit in die Prozesskette integriert. Ein Dazulernen und ein Infrage stellen von eingeschliffenen Arbeitsweisen bilden den Anfang, um besser zu werden – für uns und vor allem auch für den Patienten, der ja in der zentralen Betrachtung unserer Berufe steht. Seit knapp zehn Jahren beschäftige ich mich mit der computernavigierten Implantologie und dabei stellt sich jedes Mal die Frage: „Wie können wir das computergestützte Diagnosemodell auf unsere Prothetik projizieren?“ Oder besser noch: „Wie können Daten der späteren Prothetik einfließen in die Betrachtungsweise und die Ergebnisorientierung?“ Schon dieser Gedanke löst eine Kettenreaktion aus. Können Planungsdaten in den 3D-Modellen auch für die spätere Prothetik genutzt werden und ist die Prothetikkonstruktion am Rechner schon so weit, dass wir damit real Patientenfälle erfolgreich behandeln können?

Vorteile für die Totalprothetik

Der digitale Prothetikbereich lässt sich grob in zwei Teile gliedern. Teil eins beinhaltet die implantatgetragene Totalprothetik, sowohl festsitzend als auch herausnehmbar gestaltet. Der Teil zwei umfasst die Gestaltung von reiner Implantatprothetik bis hin zu Restaurationen, die gleichzeitig zahn- und implantatgetragen sind. Dieser Beitrag zeigt an der Totalprothetik die beispielhafte Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizin und Technik auf.

Den Einstieg in diese Technologie macht die Computertomografie (CT) bzw. Volumentomografie (DVT) des Kiefers im Ist-Zustand. Die so gewonnenen Rohdaten werden in einer speziellen Software in dreidimensionaler Ansicht auf dem Bildschirm dargestellt. Werden auch die ästhetischen Aspekte mit in die Planung einbezogen, so wie es sein soll, fällt dem Dentallabor als Teampartner im Dreieck Patient-Behandler-Zahntechniker ein sehr großer Aufgabenkomplex zu. So können alte Totalprothesen und Kombiarbeiten, bei denen der Restzahnbestand insuffizient ist, als Abformungsund Registrierhilfe benutzt werden, um Modelle herzustellen und diese möglichst schnell und einfach für die Analyse der anatomischen Gegebenheiten in den Artikulator des Meisters zu bekommen. Nach den Regeln für eine festsitzende Prothetik wird auf den durch die Kieferabformung gewonnenen Meistermodellen die Zahnbeziehung dargestellt. Auf die Einprobe, bei der es um Funktion und Ästhetik geht, folgt die Fertigung einer Interimsprothese ohne die starke Ausbildung von vestibulären Gingivabereichen. Sollte sich in dieser Phase das vorher besprochene Ziel für den Patienten problemlos darstellen lassen, so haben wir zu diesem Zeitpunkt schon die „halbe Miete“ der prothetischen Lösung eingefahren.

  • Abb. 1b: Die Betrachtung der Implantatpfeiler in der eingeblendeten Prothetik gibt Aufschluss darüber, ob hier eine Veränderung in Position und Angulation sinnvoll ist.
  • Abb. 2: Der Insertionstermin. Links der Operateur Prof. Dr. Peter Borsay aus Hamburg, bei dem ich mich für die gute Zusammenarbeit bedanken möchte.
  • Abb. 1b: Die Betrachtung der Implantatpfeiler in der eingeblendeten Prothetik gibt Aufschluss darüber, ob hier eine Veränderung in Position und Angulation sinnvoll ist.
  • Abb. 2: Der Insertionstermin. Links der Operateur Prof. Dr. Peter Borsay aus Hamburg, bei dem ich mich für die gute Zusammenarbeit bedanken möchte.

  • Abb. 3: Die OP-Schablone – erstes Resultat aus der 3DPlanung.
  • Abb. 3: Die OP-Schablone – erstes Resultat aus der 3DPlanung.

Bei diesem Konzept können wir als Zahntechniker auch die Umsetzung der implantatgetragenen Totalprothetik versprechen, ohne die gefundenen Werte jemals wieder zu verlieren. Diese Vorarbeiten haben im Vorfeld schon ihre Spuren im Labor hinterlassen und werden hier ebenfalls katalogisiert und eingefroren. Die „heiligen Kühe der Zahntechnik“ sind die aus dieser Arbeit gewonnenen Meistermodelle, die arbiträr im Vollwertartikulator, mit einer perfekten Registrierung der Kiefer zueinander, etabliert sind.

Mittels einer einfachen Kopiertechnik (Silikonform) wird die gefundene Prothetik dupliziert und zu einer CT-Schablone umgebaut. Diese dient zur Planung und späteren Realisierung der Implantatversorgung. Der chirurgische Eingriff der Insertion mittels der OP-Schablone aus dem Computer erleichtert dem Behandler die perfekte Umsetzung der Planung in den Patientenmund. Die anschließende prothetische Versorgung greift auf diese Daten zurück und bietet den Vorteil, ohne großen Aufwand zu einer perfekten Prothetik mit adäquat positionierten Implantaten und zahntechnisch wünschenswerten Platzverhältnissen zu kommen. Totalprothetik nach den Regeln für festsitzenden Zahnersatz kann neue Wege beschreiten. So sind hinsichtlich der Statik und der Mukodynamik andere Funktionsbereiche und Gestaltungen möglich. Der Halt einer Totalprothese basiert hierbei z. B. nicht auf der Basispassung und dem Doppelventilrand einer Prothesenbasis. Ebenfalls können die Zahnstellungen zwischen den Implantatpfeilern wesentlich weiter extendiert und in die eigentlichen Bereiche der stomatognathen Stellungen geführt werden. Hierfür ist eine Implantatplanung, die den prothetischen Anforderungen folgt, sehr sinnvoll.

  • Abb. 4: Die Bauteile, auf die in der virtuellen Planung die Wahl fiel, werden entsprechend der erfolgten Insertion in das reale Modell geschraubt. Sie bilden die Grundlage der Prothetik.
  • Abb. 5a-c: Die fertiggestellte Prothetik wird aus verschiedenen Blickwinkeln begutachtet.
  • Abb. 4: Die Bauteile, auf die in der virtuellen Planung die Wahl fiel, werden entsprechend der erfolgten Insertion in das reale Modell geschraubt. Sie bilden die Grundlage der Prothetik.
  • Abb. 5a-c: Die fertiggestellte Prothetik wird aus verschiedenen Blickwinkeln begutachtet.

  • Abb. 5d u. e: Anprobe auf dem Modell.
  • Abb. 5f u. g: Ästhetische Details.
  • Abb. 5d u. e: Anprobe auf dem Modell.
  • Abb. 5f u. g: Ästhetische Details.

Die Zähne dorthin stellen, wo sie verloren gegangen sind

Stellen wir also einmal bei einer Totalprothese die Zähne wirklich wieder dahin, wo sie früher gestanden haben, und ergänzen wir das verlorengegangene Hart- und Weichgewebe! Dann sieht auch die Prothetik ganz anders aus und der Patient erhält neben bloßem Ersatz für die verlorenen Zähne auch sein ursprüngliches Aussehen der gesamten Schädelanatomie zurück. Die Rekonstruktion des ursprünglichen Kieferknochens bis hin zur Zahnstellung vor der Atrophie bildet nun in der Betrachtungsweise zwischen Patient, Zahnarzt und Techniker die neue Herausforderung.

Eine herkömmliche Totalprothese, die auf einem stark atrophierten Kiefer im Ober- wie im Unterkiefer rein schleimhautgetragen ist und gleichzeitig den statischen Anforderungen entsprechen muss, stellt immer nur einen Kompromiss zwischen Funktion und Ästhetik dar. Bei diesem Kompromiss werden die funktionellen Bereiche stark eingegrenzt und die Ästhetik gründet sich auf die Gestaltung von Zahnstellungen und individuellem rosa Zahnfleisch. Dieses kann allerdings sehr natürlich erscheinen: mit der gesamten farblichen Charakterisierung eines gesunden Weichgewebes bis hin zu den kleinen sichtbaren Durchblutungsgebieten. Zahnfleischimitationen und Individualisierungen der farblichen und der formmäßigen Art sind aber kein Garant für Harmonie und formgebende Gesichtsgestaltung. Bei der navigierten Totalprothetik herrschen andere Bedingungen – mit großen Vorteilen.

  • Abb. 6a u. b: Die Eingliederung im Patientenmund.

  • Abb. 6a u. b: Die Eingliederung im Patientenmund.
Deshalb heißt unser Motto: Heraus aus dem Alltagstrott und hinein in die Zahnkunst! Aufstellregeln sind dazu da, sie patientengerecht und entsprechend neuen Möglichkeiten anzupassen und zu ändern. Funktion und Ästhetik sind neu zu definieren und in das Gesamtspiel der rekonstruktiven Zahnheilkunde aufzunehmen. Dazu gehören auch das Ausprobieren und das Dazulernen der neuen Techniken zum Wohle des Patienten. Die Denkweise der Zahntechnik ist der Mittelwert. Aber kein Mensch möchte mittelwertig behandelt werden. Hier darf es patientenbezogen immer besser werden.

Die Regeln des Goldenen Schnitts auf das Gesicht übertragen bieten völlig neue Ansatzpunkte, das Verlorene wiederherzustellen. Hierbei sind die genauen Spielregeln in der Medizin längst vorhanden. Die kriminalistische Forensik nutzt die Erkenntnisse der Medizin, um einem knöchernen Schädel das Weichgewebe zuzuordnen und damit dem Menschen wieder ein Gesicht zu geben. Damit finden wir Hinweise auf die Identität des Menschen. Also wenden wir unsere anatomischen Kenntnisse an und rekonstruieren wir das verloren gegangene Terrain! Jetzt heißt es am Patient ausprobieren und mithilfe eines Handspiegels diese Veränderung dem Patienten zeigen. Vorher-Fotos und Bilder mit der neuen Interimseinprobe geben weitere Informationen und helfen, individuelle Ansprüche zu formulieren. Dem Überschreiten der Grenzen der statischen Regeln, die für eine schleimhautgetragene Totalprothese gelten, kann nur mit entsprechenden Verankerungen am Kiefer begegnet werden. Die Lage und dreidimensionale Ausrichtung von Implantaten kann dann in die Statik und Dynamik einer Totalprothetik mit eingeplant werden.

Diese Planungslösungen ermöglichen eine perfekte Vorhersage der späteren Funktion. Da die äußere Form der Prothesenbasis dreidimensional in Bezug auf den Kiefer dargestellt ist, kann hier am Rechner die gesamte Statik und Implantat-Belastungsgrenze errechnet und eine entsprechende Positionierung festgelegt werden. Sowohl die anatomischen Möglichkeiten als auch die tatsächliche Darstellung der Belastungspunkte der eingescannten Prothetik können nun in die passenden Korrekturen einfließen; ebenso lassen sich unter diesen Gesichtspunkten die Implantate entsprechend ihren Eigenschaften auswählen. Das ganze Aufstellkonzept für die eigentliche prothetische Versorgung kann individuell an die Ansprüche angepasst werden.

Schlussbemerkung

Digitale Medizin und Zahnmedizin gepaart mit zahntechnischem Wissen führen nun zur Umsetzung in einer Kombination aus Handarbeit und CAD/CAM-Verfahren. Dies alles sichert eine hohe gleichbleibende Qualität und Passgenauigkeit. Die computergestützte Fertigung ermöglicht es auch, Kunststoffmaterialien, Keramiken und neue Metalllegierungen (Lasersintern, Frästechnik) zu nutzen, wohingegen der rein analogen zahntechnischen Arbeit starke Grenzen gesetzt sind.

Was in jedem Fall bleibt, ob herkömmlich oder digital: Die Regeln sind dieselben, ebenso das anatomische und fachspezifisch-zahntechnische Wissen. Neu ist die Mischung aus medizinischem und technischem Wissen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: ZTM Andreas Hoffmann

Bilder soweit nicht anders deklariert: ZTM Andreas Hoffmann