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Kolumne: Keramik, Chaos und CAD/CAM

Kolumne – Keramik, Chaos und CAD/CAM

ZTM Matthias Schenk blickt zurück und lässt für uns – stets mit einem Augenzwinkern und so mancher Anekdote – die letzten 25 Jahre im Kontext der Zahntechnik Revue passieren. Was war gut, was fraglich und was vielleicht ganz und gar überflüssig? Wer weiß, vielleicht erkennen Sie sich in Teilen seiner Beitragsreihe wieder.

Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975. Matthias Schenk
Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975.
Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975.

Spielpassung von Brånemark, Stressbreaker-Schraube, IMZ und Säure, Stahlzähne, Vernadelungen, Frialit-2 und Teflonring: Ja – im letzten Beitrag, erschienen in der ZTM-Oktober-Ausgabe, durchlebten wir gemeinsam ganz besondere Momente der Zahntechnik und -medizin. Heute widmen wir uns einem anderen Aspekt der Vergangenheit: den Pilotphasen. Denn in den goldenen 80er-Jahren waren wir die Tester für die Industrie.

Wenn etwas nichts taugte, haben wir einen Kunden verloren. Das Material war dann schnell weg vom Markt und das Gerät kam in den Keller. Es gab dennoch genug Arbeit und keine Konkurrenz, schon gar nicht aus Shanghai.

Wir hatten Freude am Experimentieren und haben es seltsamerweise bis heute immer noch. Der K&B-Verblendkunststoff wurde vom Komposit abgelöst. Von nun an ratterten die UV-Licht-Lampen mit dem Problem von Inhibitionsschichten.

Kein Einbetten, kein Kochen nur noch Auftragen, Schicht für Schicht. Die Kunststoffverblendung erlebte sozusagen eine Aufwertung. Doch die Crème de la Crème der Zahntechniker waren immer noch die Keramiker.

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Das war so wegen der besseren Vergütung durch die Kassen, und es ist immer noch so – vielleicht, weil es da um die jungen fitten Patienten und nicht um die alten kranken geht. Dabei kann Prothetik so schön sein. Nun gut, bleiben wir bei der Keramik, ich möchte hier ja nicht aus dem Rahmen fallen.

Jedenfalls ist die Maschinenfertigung im festsitzenden Bereich weiter als die Fertigung von Totalen Prothesen mit CAD/CAM. Früher war der natürliche Zahn das Vorbild, mit Feldspatkeramik haben wir liebevoll einen Halosaum hingezittert und beim Korrekturbrand an die falsche Stelle geschrumpft. „Beiß doch in den Feilkloben!“

Heute ist die Form viel wichtiger und die Rot-Ästhetik. Mein Ego ist gekränkt. Aber es ist schon richtig: Niemand schaut sich die Krone mit zehnfacher Vergrößerung an, außer eben ein Zahntechniker.

Ich bin überzeugt, dass die Industrie uns in den nächsten 25 Jahren auch hier noch die richtigen Tools an die Hand bzw. an die Maus geben wird. Einige Zahndatenbanken sind mittlerweile wirklich sehr hübsch – vorausgesetzt, man hat gerade so einen Patienten…

Die dicke Berta

Heute ist die Feldspatkeramik das Vorbild. Wir konzentrieren uns auf Multilayer und Farbverläufe, nesten und fräsen – aber wo bleibt der Spaß dabei? Das Kreative, das Schöpferische, die Schrumpfung, die Froschaugen, die Zeit.

Nun gut, das ist der Fortschritt. Arbeit ist Arbeit und Spaß gehört in die Freizeit. Das ist in anderen Berufen ja schon immer so gewesen.

Für die älteren Leser: Freizeit ist die Zeit, die nach der Tätigkeit im Labor noch mit der Familie verbracht wird. Familie ist … ach, lassen wir das und wenden uns wieder dem eigentlichen Thema zu: Wir kamen gerade zum maschinengefertigten Zahnersatz. Die Firma Krupp hatte einen Prototyp, so groß wie eine Supermarkt-Tiefkühltruhe.

Einen eigenen Raum füllte das Monster mühelos aus, welches mittels Funkenerosion äußerst passgenaue Metallgerüste entstehen ließ. Das Pendant arbeitete mit Ultraschall und sprengte Partikel aus Keramikblöcken, es müsste wohl Aluminiumoxid-Keramik gewesen sein. So entstanden Vollkeramikbrücken und Gerüste, jeweils mit einem eigens hergestellten Werkzeug.

Wir hörten nie wieder etwas davon und Krupp stieß seine gesamte Dentalsparte ab. Das Unternehmen hatte mit der gigantischen „Dicken Berta“ auf das falsche Pferd gesetzt. Die Frästechnik machte das Rennen.

VITAs ästhetisches In-Ceram-Verfahren griffen immer wieder auch andere Firmen auf. Auf kreative Art und Weise wurde der Aluminiumoxid-Schlicker aufgetragen, vorgesintert und dann glasinfiltriert. Eigentlich waren die Kronen wunderschön, nur leider etwas nervtötend, weil langatmig im Herstellungsprozess.

In den 90ern war dann das große Federlesen. Der Festzuschuss wurde eingeführt, die Globalisierung griff um sich und die bereits im vorletzten Beitrag erwähnte „Geiz-ist-geil“-Mentalität hielt Einzug. Zusammen ließen sie die Zahntechnik kollabieren.

Zwei Drittel der Zahntechniker wanderten in andere Branchen ab. Die Masse der Arbeit ging nun woandershin. Wen interessiert es, so die Reaktion von Norbert Blüm, dem damaligen Arbeitsminister.

Das Eigenbrötlertum und der fehlende Gesamtzusammenhalt der Zahntechniker wurden hier einmal mehr deutlich. Eine Gesundheitsreform jagte die nächste. Das Medizinprodukte-Gesetz (MPG) musste umgesetzt werden.

Wir deutschen – und anscheinend nur wir deutschen – Zahntechniker dachten, die Sinnhaftigkeit eines Gesetzes erkennen und umsetzen zu müssen. Wir wollten schon VHS-Videos vom Herstellungsprozess produzieren, weil jede Arbeit ein Unikat ist. Zum Glück kam es dann aber ganz einfach und die Aufregung legte sich für 20 Jahre.

Heute wird das MPG von der MDR (Medical Device Regulation) abgelöst. Der Nutzen für den Patienten ist meiner Meinung nach indirekt proportional zum bürokratischen Aufwand.

Wem nutzt es heute also? Wer profitiert von der MDR? Denken Sie einmal darüber nach!

Zirkon und CAD/CAM

Nun aber wieder weiter in der Chronologie. Es kam der Millenniumwechsel und eine Konstante – eigentlich die einzige Konstante der letzten 25 Jahre: das wunderbare CAD/CAM. Es hält bis heute an und wir werden es auch nie wieder los.

Und tatsächlich wartet es mit Anwendungen auf, die das Arbeiten erleichtern, ja sogar verbessern, aber auf jeden Fall standardisieren. Nicht nur für Hans Mustermann ist das die ideale Lösung, und da wir so findig sind, wird das Ganze gut. Diese Hoffnung gebe ich nie auf.

Ach, und wo wäre die Frästechnik heute ohne Zirkondioxid? Die beiden gehören einfach zusammen wie Pech und Schwefel. Händisch mit einem Pantografen zu arbeiten, das war schon cool und damals auch viel genauer.

Heute fräsen wir Sekundärteleskope mit Friktion! Wie geil ist das denn? Bleiben wir allerdings beim Zirkon.

Erst ganz hart, dann ganz weich (Grünling) und jetzt nur noch als Weißlinge. Heute als Multilayer, farbig, transluzent und mit einem Verlauf, endlich – das ist toll nach 25 Jahren! Was wäre eigentlich, wenn wir Zahntechniker für eine Arbeit 25 Jahre brauchen würden?

Auch egal, wir halten das aus, denn Zahntechniker halten alles aus. Ich jedenfalls bin gespannt, wie weit Zirkon und CAD/CAM in den nächsten 25 Jahren noch kommen. Nein, gespannt bin ich eigentlich nicht, ich habe ganz konkrete Vorstellungen und Wünsche; und es geht mir eindeutig viel zu langsam.

Zusammengefasst kann man doch sagen, die Themen aus einem Vierteljahrhundert waren und sind: Implantate, Zirkon und CAD/CAM – abgesehen von der Bürokratieexplosion natürlich. Und da hilft uns die Digitalisierung auch weiter, zumindest wenn das Labor denn auch groß genug ist, um einen ITler zu beschäftigen (Abb. 1 und 2).

Abb. 1: Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975. Matthias Schenk
Abb. 1: Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975.
Abb. 2: Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975. Matthias Schenk
Abb. 2: Analoge Datenerfassung anno 1965 und elektronische Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung anno 1975.

Ein ganz schönes Durcheinander diese Kolumne, das denken Sie bestimmt. Aber genauso erlebte ich die letzten 25 Jahre Zahntechnik. Chaos und Digitalisierung als Leitstern, nach dem wir uns richteten.

Eigentlich seltsam für so ein extrem handwerkliches Handwerk. Aber genau das ist der Nerv der Zeit. Die totale Gleichschaltung für eine fremdbestimmte Zukunft.

So wie die Sachbearbeiterin der Kasse besser weiß, was der Patient benötigt, als der Arzt, so wissen Politiker besser über die Bürgerbedürfnisse Bescheid; zum Wohle aller. Doch wie besser machen? Wir haben 25 Jahre gebraucht, um an einem Punkt in der Maschinenfertigung zu stehen, bei dem wir genau vor 25 Jahren analog auch schon standen.

Ja und nein. Schauen wir uns Militärflugzeuge oder prozessorgesteuerte Medizintechnik von heute an, dann erkennen wir: Die waren gar nicht so langsam. Wir waren nur so genügsam und anspruchslos, dass wir uns mit den Abfallprodukten der IT-Branche abspeisen ließen.

Einst der Stolz des Handwerks, was tun wir heute? Wer soll die tollen Programme schreiben, am besten auf eigener Hardware, wenn nicht wir selbst. Geht doch in den Keller und schaut euch die experimentellen Geräte der Industrie an.

Selbst der Pantograf steht heute da unten, Enrico hat dennoch viel bewegt im Bereich neuer Materialien und Verarbeitung. Viele haben ihren Beitrag geleistet, nicht zuletzt auch im Bereich der Fortbildung und in der brillanten Verarbeitungstechnik – mit Herzblut, mit Fleiß und mit manuellem Geschick. Danke für die tollen Tipps, die Motivation und die guten Beispiele. Wir haben den schönsten Beruf der Welt.

5 Top-Errungenschaften

Nach dem typisch deutschen und vielleicht auch typisch zahntechnischen Gejammere in 3 Teilen gibt es noch ein paar echte Erfolge und Fortschritte zu vermelden – sozusagen als Belohnung für alle, die bis hierher gelesen haben. Und hier sind Sie, meine 5 Top-Errungenschaften der letzten 25 Jahre:

  1. Sägemodelle sind heute dank Kunststoffplatten schneller herzustellen und präziser.
  2. Abb. 3: Scotch-Brite-Schleiflappen auf einem Mandrell montiert. Matthias Schenk
    Abb. 3: Scotch-Brite-Schleiflappen auf einem Mandrell montiert.

    Scotch-Brite-Schleiflappen sind, wenn auf einem Mandrell montiert, einfach nur genial. Vielseitig einsetzbar und unglaublich zeitsparend beim Ausarbeiten (Abb. 3).

  3. Das Fräsen von Steg- und Riegelarbeiten ist heute so viel passgenauer möglich, kein Trennen, kein Löten mehr nötig – einfach nur wow!
  4. Bei den Speed-Einbettmassen passt die Expansion. Die Feinkörnigkeit garantiert glatte Oberflächen, und das schnelle Aufheizen ist Usus.
  5. Und last but not least: Ich liebe die Presskeramik: Endlich müssen keine Einbettmassenstümpfe mehr in ein Modell zurückgesetzt werden.

Fazit

Chaos hat die letzten Jahre bestimmt. Das ist normal und es wird so bleiben. Im echten Leben gibt es immer ein Auf und ein Ab, sonst ist es kein Leben.

Wer kennt es nicht: Eben einen Höcker aufgewachst, dann klingelt das Telefon, auf dem Weg zurück wird ein Modell entformt, dann klingelt einer der zahlreichen Kurierdienste, weiter zum meditativen Aufwachsen, aber der Keramikofen fährt gerade herunter und – wo habe ich eigentlich meine Brille abgelegt? Ganz anders CAD/CAM: Einmal den Datensatz gestartet, wird Zeile für Zeile gedruckt – wie beim guten alten Röhrenfernseher, einfach planbar und sicher, ohne künstlerische Freiheit und die spontane Möglichkeit einer Planänderung. Dieses Spannungsfeld macht den Beruf so lebendig, wir alle hören Musik im MP3-Format, aber gerne auch live.

Es gibt eben beides, ich persönlich bin aus Tradition gerne innovativ. Zu guter Letzt noch ein paar Irrwege: Was hat mir das Laserschweißen Spaß gemacht! Für sehr ausgewählte Aufgaben ist es übrigens noch heute praktisch.

Auch zu erwähnen: Titan im Schleuderguss! Das ging ab … im wahrsten Sinne des Wortes. Für die jüngeren Leser: Aufgrund der niedrigen Dichte benötigte man irrsinnige Beschleunigungen.

Außerdem musste der Schmelzvorgang sehr schnell vollzogen werden. Wegen der hohen Temperatur schmolz sonst der Tiegel bzw. die Schmelzpfanne schneller als das Titan. Der gesamte Prozess musste unter einer Schutzgasatmosphäre stattfinden.

Wir Zahntechniker waren begeistert von diesem Aufwand. Galvanisch hergestellte Kronen waren „in“ – und für die Schmuckherstellung zwischendurch zudem interessant.

Und jetzt 2022 kommt der Hammer: Die Unterkieferprotrusionsschiene wird zur Kassenleistung – allerdings nur, wenn die Überdruckbeatmung nachweislich versagt! Aber wer weiß, vielleicht steht uns hier eine Renaissance der Kunststofftechnik bevor. Umsätze wie in den 80er-Jahren!

Wir dürfen gespannt sein und die Hoffnung nie aufgeben. Denn eins ist Fakt: Zahntechnik ist einfach spitze!

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